Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

„Ein prächtiger Junge das“, fuhr Ottokar lächelnd fort und bot, denselben wohlgefällig betrachtend, auch ihm die Hand, „wär ein feiner Knappe! Ist hier der Haupteingang gewesen dereinst, wie? Er wies auf einen Torbogen drüben gegen die sich flach hinziehende, grasige Fläche. Des Alten Herz war auch durch Ottokars offenes, leutseliges Wesen und nicht zuletzt durch das Lob, das dieser seinem Sohne gespendet hatte, nun ganz gewonnen, und zutraulich und freundlich im Wesen; wenn auch wie der gutge¬ launte Bär, in solcher Art, führte er den Grafen überall herum und gab seine zum Kenntnisse des Gemäuers dabei besten. Da ging es Trümmerhaufen auf und ab und keuchend wurde manch ge¬ waltiges Hindernis genommen, denn festgefügt war das gewesen, was der Mensch einst hier, wähnend für die Ewig¬ keit, geschaffen und das in den Zeiten der Völkerwanderung wieder der Natur als Tribut anheimgefallen war und das als öde Trümmer nun nächtlich der seinen wilden Vettern Wolf mit klagend umheulte. Da lagen allerlei verschnörkelt behauene Steine, Marmor¬ platten und Holz von getäfelten Wänden, wohl aus den Prunkstuben dereinstiger hier befehlender großer Herren und dazwischen Balken und Pfähle zur Verrammlung von Toren und Gräben, auch Eisenteile, verbogen und verrostet, alles wild und wüst durcheinander und so reichlich, wie wenn ein Bauherr das alles hieher ge¬ schafft hätte, um vom neuen den Burg¬ bau zu beginnen. Ottokar schien von dem Gesehenen hoch befriedigt zu sein — da war es von selbst geboten, wieder eine Ansiedlung zu chaffen, und als er hoch droben aus einer Fensternische des Wartturms hinabsah, hinein in das Tal der Enns und auf¬ wärts die Steyr und mit Entzücken in diese jetzt wilde und doch so herrliche Natur blickte, die alles bot, was der Mensch verlangen konnte: Nahrung und Schutz, wandte er sich zu dem Barschalk und sagte freudig bewegt: 103 „Ich bin dir recht dankbar, daß du mich hieher gewiesen hast, Barschalk; fürtrefflich haben sie diese Stelle dereinst als Wohnstatt ausgewählt und fast möchte ich mit Sankt Peter ausrufen: „Hier ist gut sein, hier laßt uns Hütten bauen! Und wenn es meinen edlen Herrn Vetter Leopold*) die trutzige Ungarburg drunten an der Donau hat angetan, so hab' ich nun auch den Platz ersehen, der mir nicht minder wert sein soll! Hier sind am längsten Trümmer gewesen, wollen draus eine Burg uns schaffen zu des deutschen Reiches Schutz und zum festen Sitz für einen Traungauer Graf!“ III. Bei diesen lebhaft und doch mit Würde gesprochenen Worten seines Herrn hatte der Barschalk, welcher die Bedeu¬ tung derselben für die Zukunft des schönen Ortes, wo sie sich eben befanden, aus seinem Innern herausfühlen mochte, un¬ willkürlich seinen alten Filzhut etwas gelüftet, während der jetzige Bewohner dieses Gemäuers den Grafen verwundert ansah, denn er mochte vermuten, daß der Mann, der so selbstbewußt da sprach, nicht der einfache Weidmann sei, für den er gehalten sein wollte. Graf Ottokar aber atmete wie er¬ leichtert auf, als sein Vorsatz, hier sich anzusiedeln, in Worten über seine Lippen gekommen war und er war plötzlich fröhlicher und aufgeräumter als zuvor Deswegen willigte er auch gern in den Wunsch des Alten, der ihn nun bat, drunten bei ihm einen kleinen Imbiß zu nehmen, und der Graf und sein Barschalk folgten scherzend dem voran¬ schreitenden „Burgherrn“, wie ihn Ottokar lachend nannte, hinab in sein Heim. Das war allerdings keine Prunk¬ stube, sondern einfach ein Gelaß im Erd¬ geschoß des Teiles an die Steyr hinaus. Fenster gab es wohl, aber nur die Lücken dazu, mit Fellen halb verhangen *) Leopold der Erlauchte 983 der erste Babenberger Graf in der Ostmark. Die „trutzige Ungarburg“ ist das heutige Melk, das Leopold im J. 984 von den Ungarn eroberte und zu seinem Herrschersitz erkor.

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