Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

100 im Haus, und wenn es groß ist, laß ich es laufen, recht tief im Wald, daß es kein Jäger findt! So so“ machte es Ottokar den das kurz angebundene Wesen des Mäd¬ chens ergötzte und dem das Jägerherz, dieses merkwürdige Ding, das für junges, erst in Entwicklung begriffenes Wild so art und mitleidsvoll und gegen voll¬ jähriges Getier in Wald und Flur so grausam ist warm wurde, „bist ein gutes Mädel und scheinst mir das Herz am rechten Fleck zu haben — wo haust du denn eigentlich? „Dort, wohin ich Euch führen soll, Herr“ erwiderte das Mädchen ruhig, „im alten Gemäuer, am Spitz oben, über der Enns und Steyr. Bin dort aufgewachsen und mein Bruder auch, ja unsere Eltern dort.“ leben „Und von was lebt ihr denn dort?“ fragte Ottokar, den es gelüstete, etwas über die von aller Welt abgeschlossenen Bewohner dieses seinen Gütern an der Steyr so nahen und doch so unbekannten Fleckchens Erde zu erfahren, „es ist wohl gar oft Schmalhans Küchenmeister bei 77 euch „Warum denn?“ entgegnete das Mäd¬ chen,ihn verwundert ansehend, „haben noch nie Hunger gelitten. Gibt Wild in Menge und Beeren und Kräuter und Schwämme im Wald, und im Gärtlein im Hof ge¬ deiht auch das Gemüse gar nicht übel, und gelingt's dem Vater, ein paar be¬ sonders große und schöne Fische zu fangen. trägt er sie nach Toducha hinüber*) und handelt allerlei dafür ein. Der Graf war von der so schlicht und einfach gegebenen Schilderung des Lebens dieser ihm noch ganz unbekannten Bewohner seines Gaues sichtlich über¬ rascht, und da jetzt das Mädchen rascher auszuschreiten begann, wandte er sich an Barschalk und meinte: den „Hast du vernommen, Alter, daß es gar seltsame Bewohner hat, das alte Gemäuer am Enns= und Steyreck? „Wohl, gnädigster Herr“, nickte der *) Heute Dietach. Dort waren um diese Zeit einige Slavenfamilien seßhaft. Barschalk und gab seinem Pferde mit den Zügeln einen Ruck, weil es die jungen Blätter links und rechts gar zu saftig fand und darob das Weitgehen schier ganz vergaß, „scheinen also keine Busch¬ klepper zu sein, die dort hausen — das Mädel sieht auch just nicht aus wie eine Räuberstochter „Hast recht“ sagte Ottokar, hell auf¬ lachend über des Barschalks letzte Worte, „sind wahrscheinlich Ansiedler, die sich vor den Hungarn hieher geflüchtet! Haben ich ihre neue Wohnstatt gut gewählt sicher vor Entdeckung wenigstens, ver¬ mein' ich, da Ihr zu Sirnicha von den Leuten noch nichts wußtet — was ist denn los, Mädel?“ „Wir sind an Ort und Stelle, Herr“ rief das Mädchen jetzt um eine Weg¬ biegung herum, „wollt nur ein ganz klein Wenig Euch gedulden, ich hol' den Vater oder sonst wen vom Haus, ist ein Graben zu passieren und die Brücke auf¬ gezogen, könnt' sich sonst allerlei fahrendes Volk, wohl auch ein Bär zu uns hinein — kommt nur ganz heraus verirren aus dem Wald! Die drei Jäger bogen um ein paar alte Baumriesen herum, zerteilten das Gebüsch, das unter denselben wucherte und zogen vorsichtig die Pferde nach. „Hollah“, sagte Graf Ottokar über¬ rascht, „da sind wir ja! Vorsicht, Leute, da ist ein breiter und recht tiefer Graben herum warten wir ab, bis das Mädel zurückkommt, die soll uns dann führen!“ II. 77 Die „Zugbrücke vor der Graf Otto¬ kar und seine Begleiter nun standen, war nun doch recht einfacher Art, denn sie be¬ stand aus zwei nebeneinander genagelten Brettern und daran an beiden Seiten Stricke, die in den Lücken des mächtigen Gemäuers liefen, das sich drüber dem Graben ausdehnte. Während der Bar¬ schalk und der Leibknappe nun den Pfer¬ den die Gurten nachließen, betrachtete Ottokar die Reste der Gebäude, die sich drüben massig und doch viel Raum

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