Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

88 conti einen Namen gemacht hat. Der Bau wird wahrscheinlich vier Jahre dauern und zwei Mil¬ lionen Lire kosten. Zugleich mit dem Wieder¬ aufbau des Turmes wird die Restaurierung der übrigen Monumentalbauten Venedigs durchge¬ — ührt. Einen unersetzlichen Verlust hat die Kunstwelt in der Berichtsperiode erlitten. Leo¬ nardo da Vincis „Abendmahl Christi und die Apostel“ im Refektorium des Dominikaner¬ Klosters St. Maria delle Grazie zu Mailand, muß als nicht mehr existierend betrauert werden; es ist verwittert und verblichen, fast vollständig von der Wand die es in jenem Refektorium ein¬ nahm, verschwunden. Eine treffliche Kopie in Mosaiktechnik des im Original durch Feuchtig¬ keit und Vernachlässigung zerstörten Gemäldes befindet sich in der Wiener Minoritenkirche. Am 26. Juli 1902 starb in Florenz im Alter von 74 Jahren der Bailly Don Amerigo Anti¬ nori, Herzog von Brindisi, ein treuer Anhänger des depossedierten Großherzogs von Toskana. * * * Am 20. Juli 1903 um 4 Uhr nachmittags nach anderen Berichten um 2 Uhr 50 Minuten 2 verschied nachmittags) zu Rom Papst Leo XIII. (Graf Joachim Pecci). Nachdem er am 20. Februar 1903 verhältnis¬ mäßig rüstig und bei voller Geistesfrische das ünfundzwanzigjährige Jubiläum seines Ponti¬ ikates begangen hatte, erkrankte er am 4. Juli 1903 und nach einem 14tägigen, bewunderungs¬ würdigen Ringen mit Alter und Krankheit erlag er. Eine Lungen= und Brustfellentzündung hatte seinem Leben ein Ende gemacht. Graf Joachim Pecei war am 2. März 1810 zu Carpineto im Stammhause seiner Familie geboren worden. Im Jahre 1837 erhielt er die höheren Weihen; kurz darauf wurde er Delegat in Benevent, wo ihm die Aufgabe oblag, das dortige Banditen¬ wesen zu vernichten, eine Aufgabe, die er auch glänzend durchführte. Dann kam Pecei in der gleichen Eigenschaft nach Perugia, wo er die Giovine Italia“ bezwingen sollte, was ihm aber trotz Gefängnis und Galgen nicht ganz ge¬ lingen wollte. 33 Jahre alt, wurde er Nuntius in Brüssel und am 27. Jänner 1843 zum Bischof von Damiette ernannt. Am 26. Juli 1846 hielt Pecci als Erzbischof seinen Einzug in Perugia. Nach dem Tode Cardinal de Angelis berief ihn Pius IX. der 1870 den gänzlichen Unter¬ — jang der weltlichen Herrschaft über sich ergehen —als Kardinal=Camerlengo nach lassen mußte Rom. Nach dem am 7. Februar 1878 erfolgten Tode Pius IX. ward Graf Joachim Pecci am 20. Februar 1878 zum Papste gewählt. Leo XIII. war kein heißblütiger Prädikant auf dem Stuhle Petri, sondern ein politischer Papst im eigentlichen Sinne des Wortes. Sein für die Weltstellung der Kirche unausgesetzt tätiger Geist suchte die unter Pius IX. durch¬ schnittenen politischen Kontaktflächen zwischen den veltlichenStaaten und dem heiligen Stuhle wieder zur Adhäsion zu bringen, selbst durch große Opfer, wenn sie nur nicht größer waren, als das Hauptziel selbst, die Glorie der Kirche. So blitzte es und donnerte es nicht von dem Throne Petri, als in Frankreich 1880 die Jesuiten und alle nicht anerkannten Kongre¬ gationen ausgewiesen wurden; uchte so Leo XIII. und fand Annäherungsversuche mit Besuch England und Rußland, er sah den Wilhelm II. im Vatikan. Die sanfte Diplo¬ matie Leos hatte in kurzer Zeit mehr erreicht, als die geschwollenen Zornesadern Pius IX. während einer 32jährigen Regierung. Am 31. Juli 1903, nachmittags 5 Uhr, traten — zur Wahl die Kardinäle — 62 an der Zahl des neuen Papstes in das Konklave ein, worau dessen Tore um 7 Uhr abends geschlossen wurden. Nach sechsmaligem vergeblichem Wahlgange wurde im siebenten Wahlgange, nachdem Oesterreich¬ Ungarn sein Veto gegen die Wahl des früheren Staatssekretärs Kardinal Mariano Rampolla eingelegt, der Kardinal Giuseppe Sarto, Patriarch von Venedig, am 4. August 1903 zum Papste gewählt. Er legte sich den Namen Pius X. bei. 1.) Ginseppe Sarto wurde am 2. Juni 1835 als Sohn armer Landleute in Riese, Diözese Tre¬ viso geboren. Mit 20 Jahren Priester, waltete er bis 1875 als Pfarrer in mehreren kleinen Pfarreien und fungierte dann als Domherr dischöflicher Kanzler und Generalvikar in Tre¬ viso. 1884 wurde er Bischof von Mantua und am 12. Juni 1893 Kardinalpriester und Titular von S. Bernardo alle Terme. Drei Tage später, am 15. Juni 1893, ernannte ihn Papst Leo XIII. zum Erzbischof und Patriarchen von Venedig. Sarto galt von allem Anfang an als der unpolitischeste und kirchlichste unter allen Kandidaten für den päpstlichen Stuhl. Frankreich. Das Ministerium Combes verfolgte seine Aufgabe, das vom Ministerium Waldeck¬ 1 Rousseau überkommene Programm durchzu¬ führen, auch in der hier in Rede stehenden Be¬ richtsperiode mit Energie und dauerndem Er¬ folge. Sein Kampf gegen die Kongregationen Schließung von Ordensschulen, Verweigerung der Autorisation, Ausweisung von nicht autori¬ ierten Kongregationen, darunter jene der Char¬ treuse=Liqueur fabrizierenden Karthäuser) fand nach wie vor die Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften. Die Deputiertenkammer erteilte dem Kabinette sogleich beim Beginn ihrer am 14. Oktober 1902 eröffneten neuen Session ein glänzendes Vertrauensvotum, indem eine Inter¬ pellationsdebatte über die Schließung der Or¬ densschulen mit der Annahme einer die Haltung und die Handlungen der Regierung billigenden Tagesordnung mit 329 gegen 233 Stimmen

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