82 Hauptrolle spielte), welche der Regierung Szells bereits aus früheren Anlässen lebhaft entgegen¬ getreten war, leitete die nachösterliche Tagung wieder mit der Fortsetzung der bereits vor Ostern begonnenen Obstruktion gegen die Wehrvorlage ein, und verhinderte auf gleichem Wege auch die Votierung eines Budgetprovisoriums, so daß am 1. Mai 1903 der Ex lege=Zustand eintrat, der in weiterer Folge, da einerseits die Regierung in keiner Weise in die von der Opposition ver¬ langte Zurückziehung der Wehrvorlage willigen und diese anderseits ohne einen solchen Schritt der Regierung eine geordnete parlamentarische Tätigkeit nicht zulassen wollte, ein vollstän¬ digesChaos verursachte. Das Parlament, das seit Oktober 1902 im neuen, am 8. Oktober 1902 ohne alle Feierlichkeit eröffneten Hause tagte, war nicht in der Lage ruhig und ordentlich zu verhandeln, es gab Konflikte und Stürme fast wie seinerzeit unter Badeni im österreichischen Abgeordnetenhause und die Parlamentskrise war gegeben. Da endlich auch die Vorschläge Szells zur Entwirrungder Lage die Zustimmung der Krone nicht fanden, kam es zu der am 14. Juni 1903 gegebenen und vom Kaiser sofort angenom¬ menen Demission des Ministeriums Szells und zur Vertagung des Hauses bis zur Erledigung der Ministerkrise. Mit der Bildung des neuen Kabinetts wurde zunächst Graf Stefan Tisza betraut, der aber, da er auf sein Programm die chärfere Tonart geschrieben und ob seiner un¬ beugsamen Energie und Willensstärke, ob seiner Mißachtung aller Popularitätshascherei allseits gefürchtet wurde und daher die volle Unterstützung der Majorität nicht finden konnte, dafür aber auf die erbittertste Gegnerschaft der Opposition stieß, ein Mandat rasch wieder in die Hände des Mon¬ archen zurücklegte. Hierauf betraute der Kaiser den Banus von Kroatien, Grafen Khuen¬ Hedervary, mit der Aufgabe, ein neues Kabinett zu bilden. Graf Khuen setzte sich zu¬ nächst mit dem Führer der Unabhängigkeits¬ partei in Verbindung und vereinbarte mit diesem einen modus vivendi dahin, daß die Oppo¬ sition die Obstruktion gegen dem aufgebe, daß die Regierung die angefochtene Wehrvorlage zurück¬ ziehe, somit ihre Mehrforderung bezüglich des Re¬ krutenkontingents, sowie die Forderung, betreffend die Inanspruchnahme der Ersatzreserve, resp. die Mannschaft zur Bedeckung der Haubitzenbatterien, allen lasse, und dafür bloß ein Notgesetz, in welchem nur das Rekrutenkontingent für dieses Jahr in dem gleichen Ausmaße wie im ver¬ flossenen Jahre angesprochen wird einbringen was dann in der Sitzung vom 30. Juni werde— 1903 auch geschah. Damit hatte die Heeresverwal¬ tung vor der ungarischen Obstruktion kapituliert, und dem Grafen Kuehn=Hedervary Zugeständnisse gemacht, die sie dem Ministerium Szell verweigert und damit auch dessen Demission herbeigeführt hatte. Die Unabhängigkeitspartei akzeptierte voll¬ inhaltlich die zwischen Franz Kossuth und den Vertrauensmännern der Partei und Grafen Khuen getroffenen Vereinbarungen und wenn auch ein endgiltiger Friede von der endgiltigen Befriedigung gewisser nationaler Aspirationen in Heeressachen abhängig gemacht wurde, so war doch wenigstens ein Waffenstillstand zwischen der Unabhängigkeitspartei und dem in Aussicht stehen¬ den Ministerium Khuen=Hedervary zustande ge¬ kommen. Daraufhin und nachdem auch die Majorität im Parlamente — die sogenannte Re gegen ein Ministerium Khuen gierungspartei — keine Einwendungen erhob konnte das Mini¬ sterium Khuen=Hedervary durch allerhöchstes Hand¬ schreiben vom 27. Juni 1903 aktiviert werden. Es legte am 28. Juni 1903 den Eid in die Hand des Monarchen ab. Als Honvedminister war auch für dieses Ministerium der frühere langjährige Inhaber dieses Postens, Baron Geza von Fejervarv, in Aussicht genommen, doch dieser beharrte angesichts der Art und Weise, wie man nun plötzlich eine Militärvorlage als überflüssig aufgab, die man früher als unentbehrlich hin¬ gestellt und für welche sich das Ministerium Szell wie man sieht — ohne alle Not verblutet hatte, auf seiner Demission (wie er auch das ihm von der Stadt Temesvar verliehene Reichstags¬ mandat niederlegte), weshalb an seine Stelle GM. Desider v. Kolossvary als Honved¬ minister in das Ministerium Khuen eintrat. Am 30. Juni 1903 präsentierte sich das neue Kabinett im ungarischen Parlamente und da zeigte es sich ofort, daß der zwischen dem Ministerpräsidenten und Franz Kossuth, resp. der Unabhängigkeits¬ partei geschlossene Waffenstillstand ein fauler, das von der Heeresverwaltung gebrachte sacrificio dell' inteletto ein vergebliches war. Der linke Flügel der Kossuth=Partei hielt sich unter Führung des Abgeordneten Bela Barabas nicht an die getroffenen Abmachungen und setzte, trotzdem die Regierung in Sachen Wehrvorlage ihr Wort ge¬ halten, die Obstruktion fort. So blieb denn bis die bis auf um Schlusse der Berichtsperiode — Kapitulation der Heeresverwaltung und die Zu¬ rückziehung der angefochtenen Wehrvorlage in Ungarn im wesentlichen alles beim alten, da wohl auch die Niederlegung des Präsidiums der Unabhängigkeitspartei seitens des Abgeordneten Franz Kossuth und noch einige andere Demis¬ sionen im Schoße dieser Partei nur einen kaum mehr als platonischen Wert haben. Befinden sich so mit Schluß der Berichtsperiode die inneren politischen Verhältnisse Trans¬ leithaniens überhaupt noch im Zustande der Krise, o sind auch die Beziehungen zwischen Ungarn einerseits, Kroatien und Slavonien anderseits keineswegs die besten. Die Regierungstätigkeit des nun zum ungarischen Ministerpräsidenten avan¬ Grafen Khuen¬ ierten Banus von Kroatien, Hedervary, insbesondere seine Magyarisierungs¬ tendenzen, haben keine guten Früchte getragen und eine Serie von gefährlichen Ruhestörungen, blutigen Gewaltakten der aufgestachelten Bevölke¬ rung und ebenso blutigen Repressalien, bilden das Signum der letzten Monate der Regierungs¬
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