Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

68 Am Tage vor der Wahl des Peter Karageorgie¬ vic zum König von Serbien fiel noch ein Opfer der Treue an die Obrenovic.Major Mikolic in Schabatz, welcher, wie imVorjahre berichtet den Rade Alavantic, als dieser am 5. März 1902 einen Putschversuch zu Gunsten des Prätendenten Karageorgievic unternommen und dabei auf Mikolic, den Gendarmerie=Kommandanten, einen Schuß abgegeben hatte, niederschoß,fiel am 14. Juni 1903 durch die Hand meuchelmörderi¬ scher Soldaten. Noch am 15. Juni 1903 nahm Peter Kara¬ georgievic, tief gerührt von der Ergebenheit eines teuren Volkes, seines „treuen“ Heeres, und der Vorsehung dafür dankend, daß es ihm be¬ schieden, aus „Gottes Gnaden“ und des Volkes Willen den Thron seiner Ahnen zu besteigen, in einem Telegramme an die Regierung die Krone Serbiens an. Am 17. Juni 1903 veröffent¬ lichte dann das „Journal de Genéve“ eine Pro¬ klamation Peter Karageorgievics an das serbische Volk, worin er erklärt, den Thron Serbiens als „Peter I., König von Serbien“ zu besteigen. Auf die Notifizierung seiner Wahl hin erfolgte seitens Oesterreich=Ungarns und Ru߬ lands, unter schärfster Verurteilung des Königs¬ neuen Königs. mordes die Anerkennung des Ebenfalls am 17. Juni 1903 genehmigte die Skupschtina definitiv die an der Verfassung von 1888 vorgenommenen Aenderungen mit 113 gegen 3 Stimmen, worauf auch der Senat dieselben einstimmig akzeptierte. Am 20. Juni 1903 ver¬ öffentlichte das Amtsblatt die neue (alte) Ver¬ fassung, ferner die Außerkraftsetzung der Ver¬ fassung vom 6. April 1901, sowie aller der neuen Verfassung zuwiderlaufenden Verordnungen. Am elben Tage publizierte das gleiche Amtsblatt aber auch die Ernennung des Königsmörders Oberstlieutenants Peter Misic zum Platzkom¬ mandanten in Belgrad. Später wurde er dann mit der Leitung der Militärabteilung des Kriegs¬ ministeriums betraut. Am 21. Juni 1903 erfolgte in Genf durch den an der Spitze einer Delegation der serbischen Nationalversammlung stehenden Präsidenten der letzteren, Velimirovic, die offizielle Noti¬ fikation der Wahl an den Gewählten. Am 22. Juni 1903 reiste Peter I. von Genf ab, am 24. Juni 1903 zog er in Belgrad ein, am 25. Juni legte er den feierlichen Eid auf die Verfassung ab. Den diesfälligen Feierlichkeiten wohnten von den fremden Vertretern nur jene Oesterreich=Ungarns und Rußlands bei; der Ge¬ sandte Englands war früher abberufen worden die Gesandten Frankreichs, Hollands, Amerikas und der Türkei waren am Vortage des Ein¬ zuges von Belgrad abgereist; der deutsche und italienische Gesandte waren in Belgrad ver¬ blieben, nahmen aber an den Feierlichkeiten nicht teil. Auch beim Empfange der Diplomaten durch den neuen König erschienen nur die Gesandten Oesterreich=Ungarns und Rußlands. Noch am Tage der Eidesleistung gab das Ge¬ samtministerium seine Demission, wurde aber inklusive des Bautenministers Oberst Alexander — Maschin vom König in seinem Amte be¬ stätigt. Oberst Maschin wurde zum General ernannt. Das Infanterie=Regiment Nr. 6, welches am Staatsstreiche am lebhaftesten beteilig war und dessen Inhaberschaft der König von Rumänien niedergelegt hatte, erhielt den Namen König Peters. Nach geschehener offizieller Notifizierung der Thronbesteigung durch König Peter I. erfolgte dessen Anerkennung auch durch andere Staats¬ oberhäupter, so durch den Kaiser von Deutsch¬ land, den König von Italien, den Präsidenten der französischen Republik, den König von Ru¬ mänien, den Sultan 2c. Die Anerkennung durch England war bis zum Schlusse unseres Be¬ richtes noch nicht erfolgt. Am 30. Juni 1903 wurden die Sitzungen der mit Proklamation der provisorischen Regierung vom 11. Juni 1903 einberufenen Tagung der Skupschtina geschlossen, nachdem sich in derselben bereits die Keime ernster Konflikte gezeigt hatten Im Sinne der Verfassung wurden dann die Neu¬ wahlen für die Skupschtina=Session 1903 bis 1906 auf den 8. September a. St. anbe¬ raumt und die Skupschtina auf den 1. Oktober a. St. einberufen. Nach der reaktivierten Ver¬ fassung vom Jahre 1888 wählen Belgrad zwei die übrigen Städte aber je einen Abgeordneten. In den Kreisen entfällt auf je 4500 Steuerzahler ein Abgeordneter und falls der Rest der Steuer¬ zahler 3000 übersteigt, kommt noch ein Abge¬ ordneter dazu. Mit der Eidesleistung durch König Peter I. war der letzte Akt der Tragödie des Hauses Obrenovic abgespielt. Eine Sühne ist dieser Tragödie aber bisher nicht geworden Seit der Mordtat hat man es in Belgrad ver¬ sucht, Milderungsgründe für selbe zu ersinnen; man sprach von einem Versuch, Dragas Bruder Nikodem die Thronfolge zu sichern, von geistiger Anormalität des Königs von Volltrunkenheit der Mörder. Wäre dies aber auch alles wahr, es würde doch nichts an der Größe des Verbrechens, an dem Grausen der Tat ändern. Die Schreckens¬ nacht vom 10. auf den 11. Juni 1903 wird trotz aller Reinwaschungsversuche, eine Schmach bleiben für das Land, das Meuchelmörder zu Minister macht, eine Schmach bleiben für das serbische Volk, das mit kalter Ruhe, ja mit Genugtuung die Mordtat hinnahm, das die Leichen der Ge¬ mordeten anspuckte, das am Tage nach der Schreckensnacht beflaggte und beleuchtete; sie wird eine Schmach bleiben für die serbische Armee, die während sonst Armeen die festesten Stützen der ihrem König die Treue schmählich Throne sind — brach die bei Slivnitza vor dem siegreichen bul¬ garischen Heere mutlos zurückwich, aber in ihren Offizieren den „Heldenmut“ wieder fand, als es galt, ein wehrloses Weib hinzuschlachten. Sie wird aber auch einen Schatten werfen auf

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