Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

sprochen war — nun, das konnte dock unmöglich von Uebel sein. Also, es blieb kein anderer vernünftiger Grund mehr übrig, weshalb ihr getrieben worden, als Bosheit und Neid. Ihr einziger Trost war, daß sie schon morgen in der Frühe auf hoffentlich Nimmerwiederkehr aus der ihr gründlich verleideten, bis vor ein paar Stunden noch so teuren Heimat ent¬ fliehen konnte. Ja, sie meinte den so nahen Augenblick fast nimmer erwarten zu können, wo sie von ihrem Bräutigam in die Münchenerstadt, wovon sie schon so viel Herrliches vernommen, zu gebil¬ deten, höflichen Menschen geleitet werden sollte, und diesem rohen, boshaften und neidischem Bauernvolke auf immer Valet sagen könne!... * Schon vor Tagesanbruch traf Liesel ihre letzten Reisevorbereitungen, und so verhaßt war ihr der Aufenthalt in ihrem Geburtshause, daß sie nur mit größtem Widerwillen beim Zusammensuchen der Sachen, die sie mitnehmen wollte, in den Räumen ihres elterlichen Hauses hastig hin und her schritt. Endlich gegen Mittag war alles zur Abfahrt bereit. Kalt, ohne eine Thräne zu vergießen, verabschiedete sich Liesel von der guten Schwägerin, mit der sie so viele Jahre im Frieden und bester Eintracht zusammengelebt, und von den Ehehalten, und nur als sie dem Annei, ihrem kleinen herzigen Bäschen, die Hand zum Lebewohl reichte und das Dirndl bitterlich zu weinen anfing, zuckte es über ihr jetzt ganz bleiches Gesicht mit den finsteren Zornfalten auf der sonst so glatten Stirne wie gewaltsam zurück¬ gehaltene Rührung; sie küßte Annei mit größter Herzlichkeit und gab ihr ein schö¬ nes Heiligenbildchen zum steten Gedächt¬ nis an sie, die Liesel! Noch vom Wagen herab rief sie dem Kinde, das vor Weinen noch immer kein Wort hervorbringen konnte, tief bewegt zu: „Behüt' Dich Gott, Basei! 's freut mi schon recht, daß D' mi so viel gern hast! Bald schick' i Dir was Schönes aus der großen, präch¬ tigen Münchenerstadt!“... Das gute kleine Mädchen konnte auch jetzt noch 63 nicht reden, und es schlug, wie man zu sagen pflegt, eine Zähre die andere .... Noch lange blieb das Kind draußen vor dem Hofe unter dem schneeschweren, grauen Wolkenhimmel in der frostigen Novemberluft stehen und sah dem rasch entschwindenden Schlitten nach, in welchem ihr Vater und Liesel, um den Bandhut ein weißes Tuch geschlungen und dicht in ein großes Shawltuch ge¬ hüllt, saßen, während der treue Anderl die kräftigen, raschen Braunen lenkte, welche das leichte Fuhrwerk im flotten Trab aus dem eingeschneiten Bergtal in die große Isarhochebene hinausführten. Vorerst wollte noch immer nicht der 7 alte Frieden und das einstige Glück au dem Bucherhofe einkehren. Zuerst brannte das schon unter schweren Geldopfern fertig gebaute Wirtshaus völlig ab. Da damals die Feuerversicherungen noch sehr in den Schuhen der Kindheit staken, glich der unglückliche Besitzer desselben, der Bucherbauer, einem gänzlich Verzweifeln¬ den, denn sein rettungsloser Untergang war damit besiegelt, und da, wie man sagt, kein Unglück allein kommt, starb ihm auch noch sein Liebstes auf Erden, ein einziges Kind, das Annei, an Scharlach. ... Nun schien es, als ob es mit ihm ganz gar sei. Darauf schien nun Würger gepaßt zu haben. Dringend ver¬ langte er vom Bucher nicht nur sein Darlehen, welches er ihm gegeben, son¬ dern sogar auch das bare Heiratsgut einer Braut Liesel. Der arme, so schwer bedrängte Mann konnte weder das eine, noch das andere bezahlen, da forderte vom Eisenbahnbauunternehmer der Bauern seinen schönen Hof und setzte spöttisch hinzu: „Das Bißl, was Du noch an Geld herausbekommst, zahl' ich Dir dann gleich baar aus!“ Da gingen endlich dem Schwergeprüften über seinen angeb¬ lichen guten Freund die Augen auf. „Was, meinen Hof, auf dem schon mein Urahnl gehaust, den soll i hergeben?! Der Zorn übermannte ihn, und mit raschem Griffe wirbelte er den unver¬ schämten Menschen zur Türe hinaus.

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