60 Fetzen derselben flogen nebst dem Haber¬ stroh und den dürren Tannenreisern den Türen und Fenstern des Buchhofes zu. Die entsetzlichste Musik, die sich nur der vorstellen kann, wer diese je selbst ver¬ nommen, ging wieder los. Kesseln, Pfan¬ nen, Eisenhäfen, Kuhschellen, alte Trom¬ meln, Trompeten, Pfeifen und Pauken rasselten, dröhnten und quickten um die Wette mit dem brausenden, nächtlichen Wintersturm, dazu schlugen und polterten große Prügel und Dreschflegel aus Fenster, Läden und Türen nieder, eine Menge Büchsenschüsse knallten, knatternd stiegen Raketen und Frösche auf —kurz, es hätte auch dem Beherztesten Sehen und Hören vergehen mögen. So war es denn wirklich kein Wunder, daß den Leuten im Buchhofe, wie man zu sagen pflegt, die Haare zu Berge standen. Schon längst waren die Ehehalten entsetzt aus ihren Kammern in die große Stube herabgelaufen, während die Kleine des Buchers kläglich zu weinen angefangen und sich furchtbebend hinter den großen Ofengeflüchtet hatte. Die Bäuerin und Liesel lehnten totenblaß mit zitternden Knien an der Zimmertüre; die letztere hatte bei der sie betreffenden. Spottrüge der Haberer beinahe die Besinnung ver¬ loren, der Bucherbauer aber biß sich vor Ingrimm und ohnmächtiger Wut die Lippen blutig. Würger, der Eisenbahn¬ bauunternehmer, geberdete sich wie ein Wahnsinniger. Als nun die erste Ueber¬ raschung über dieses ihm gänzlich un¬ bekannte Geschehnis vorbei war, lief er gleich einem Tollhäusler im Gemache umher, denn wenn er auch schon in Mün¬ chen viel vom Haberfeldtreiben erzählen gehört, mitangesehen hatte er noch nie einen „Trieb“ noch weniger aber wäre ihm je in den Sinn gekommen, daß er einmal selbst bei einem solchen eine Hauptrolle als Gerügter spielen müßte So rief er denn fortwährend: „Polizei her! Wo stecken denn die feigen Gendar¬ men? Aus München muß gleich Militär zu uns heraus! Das Gesindel muß zu Paaren getrieben werden! Aber denken sollen die Schufte ihr Leben lang an mich! Ich tränke ihnen die Schmach ein, die sie mir, einem Bürger der Haupt¬ und Residenzstadt, angetan haben! Schließlich wollte er auch einen geladenen Stutzen von der Wand reißen und zum Fenster hinausschießen. Doch zum größten Glück verhinderte der Bucherbauer dieses unsinnige Vorhaben, indem er mit starker Faust dem Freund und zukünftigen Schwager in den Arm fiel und ganz ent¬ setzt ausrief: „Alles, nur nöt schießen „ Um Gottes Willen tu' nur dos nöt! Sunst schlagen's das ganze Haus in Grund und Boden 'nein und uns alle maustot! Nur die vereinte Kraft des Buchers und seiner Knechte konnten den vor Wut schäumenden Bahnbauunternehmer die Waffe aus der Hand ringen und ihn zurückhalten. Doch stets knirschte er noch mit den Zähnen, schlug mit Händen und Füßen um sich, und kaum konnten ihn die kräftigen Männer bändigen. Endlich, nachdem der greuliche Lärm länger als eine Viertelstunde gedauert hatte, tönte das letzte Abschiedsgebrüll der Haberer zu den bangen Lauschern in den Buchhof hinein und es begann stiller zu werden. Noch vernahm man wie Fensterläden und Türen ausgehangen und in den Obstgarten geworfen wur¬ den, hie und da ertönte vereinzeltes spöttisches Lachen, dann hörte man nichts mehr; die Haberfeldtreiber waren fort. Erst jetzt wagten es die Bewohner des Hofes, wieder freier aufzuatmen, und „ auch den Eisenbahnbauunternehmer ließen endlich die Knechte los. Der konnte aber noch immer nicht seine Ruhe und Fassung gewinnen und schrie fortwäh¬ rend: „Der Unfug muß vom Gericht ganz exemplarisch bestraft werden!“ Zu¬ letzt rannte er mit diesen oft wiederholten Worten, ohne auf den ängstlichen Ab¬ haltungsruf Liesels, seiner Braut, zu achten, in die stockfinstere, stürmische Winternacht hinaus Ja, das war eine schreckliche, unver¬ geßliche Nacht für sämtliche Bewohner des Buchhofes. Oben in ihrer Schlaf¬ kammer lag jetzt die Liesel auf dem Bett, aber schlummern konnte sie keine
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