Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

42 hätten beide geringen Appetit und wenig Bedürfnisse. Gott würde schon helfen. Sie hörten ihm zu und sahen ihn be¬ stürzt an, als wenn ein Unglück sich über das Lager gesenkt hätte. Morgan war der erste, der das Schweigen brach. 7 „Ich weiß nicht, was ihr davon denkt Kameraden, aber meine Meinung ist daß Burton Unrecht tut, uns zu verlassen. Erstens glaube ich nicht, daß das Lager das wieder zurücknehmen wird, was es freiwillig geschenkt hat. Der „Claim“ ge¬ hört Burton, er hat ihn bearbeitet, und wenn er ihn durchaus verlassen will, so kaufe ich ihn ab und gebe ihm dafür 50 Unzen. „Gut gesprochen, Morgan!“ sagte Dexter. „Und dann,“ fuhr Morgan, der sich im Zuge fühlte, weiter fort; „wo wird er es besser finden, als er es hier hat? In San Franciscol ... Ja, das ist mir der rechte Ort! ein Banditenloch, wo man am hellen, lichten Tage niedergestochen wird das Stelldichein aller Freibeuter der Welt! ... Und dort ein Kind hinein¬ etzen ... niemals! „Morgan hat recht“ sagte Dexter „Das ist kein Ort für Maud! Burton mag die Kleine holen! Er soll sie hierher bringen, und der Kuckuck soll mich holen, wenn wir nicht für sie sorgen wollen, wenn ... „Maud ... hier?“ fragte Burton „Nun, denn ja!“ fuhr Morgan fort. „Hier, wo sie besser aufgehoben sein wird als anderswo, hier, wo wir sie kennen... und lieben! Hört, Kameraden, ich habe eine Idee: geben wir Maud einen „Claim“, verpflichten wir uns, ihr zwei Stunden in der Woche zu widmen; der Ertrag wird dem Kinde gehören!Man wird der Kleinen eine Sparkasse schaffen! Was sind zwei Stunden in der Woche für jeden von uns? Gar nichts! Los¬ Angeles adoptiert die Kleine! Sie ist die Tochter Burtons; sie soll auch die unsere sein!... Aber hört,“ fügte er hinzu das beifällige Gemurmel unterbrechend „laßt das Trinken und Fluchen! Wenn Los=Angeles die Sache macht, muß es sie auch gut machen ... Adoptieren wir Maud!“ Das Beifallsgejubel übertönte seine Stimme. Die Goldgräber stimmten be¬ geistert bei. Burton, der tiefbewegt war wußte nicht, was er antworten sollte, als Morgan fortfuhr: „Die Sache ist abgemacht; reden wir jetzt nicht mehr davon!“ Am nächsten Tage reiste Burton nach San Francisco, und vierzehn Tage später verkündete ein Brief von ihmseine bevorstehende Ankunft; er nannte Tag und Stunde; ein Maultier sollte sie in Sacramento erwarten, um dem Kinde einen Weg zu ersparen, der über seine * Krafte ging Um drei Uhr nachmittags hielt sie ihren Einzug in das Lager. Maud saß auf dem Maultier, dessen Schellen lustig klapperten Sie war reizend mit ihren im Winde flatternden Lockenhaaren und ihren vor der scharfen Luft gefärbten Wangen. Ihre großen sanften Augen hafteten schüchtern auf diesen rauhen, vor Ver¬ gnügen strahlenden Gestalten, die sie will¬ kommen hießen. In San Francisco und im Verlauf ihrer langsamen Reise hatte ihr Vater ihr ein langes und breites von seinen Gefährten erzählt; sie fragte ihn aus, und er lieferte ihr von jedem von ihnen eine Beschreibung, die sie aufmerksam anhörte „Vater, das ist Morgan!“ rief sie und breitete nach dem sonnverbrannten Riesen die Arme aus, der langsam näher kam. Es war in der Tat Morgan, dessen Gesicht sich verklärte, als er seinen Namen nennen hörte. „Sie hat mich erkannt, ja, sie hat mich erkannt!“ sagte er, sie sanft in seine rauhen Arme nehmend Und zwanzigmal am Abend wieder¬ holte er: „Sie hat mich erkannt!“ Es war ein Fest im Lager, ein richtiges Fest. Man führte Burton und Maud, die Morgan bei der Hand gefaßt hatte,

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