34 eine Kette unablässiger, ärgerlicher Auf¬ regungen gewesen, die ihn als Künstler vollkommen lahm legten und ihn als Menschen zu einem ewig verdrießlichen Kopfhänger machten. Und als sie ihn schließlich auch hindern wollte, mit den Freunden seiner Junggesellenzeit zu ver¬ kehren und an ihrer lustigen, anregen¬ den Tafelrunde ab und zu einen Abend zu verbringen, kam es zum zweitenmal zu einem Bruch. Adele reiste zwar nicht zu ihrer Tante, aber sie zog sich von ihrem Gatten vollkommen zurück. Sie schloß sich den ganzen Tag über in ihrem Zimmer ein, speiste allein, ja, sie hatte jegliche Gemeinschaft mit ihrem ihrer Meinung nach sich im Unrecht befindlichen Gatten abgebrochen, und wenn sie einer Begegnung mit ihm nicht aus dem Wege gehen konnte, so zeigte sie ihm eine so trotzige, finstere Miene, daß er sich ebenso sehr erkältet wie erbittert fühlte. Und nun tat er das Unklügste, was er über¬ haupt tun konnte. Er berief die Tante seiner Frau als Friedensstifterin. Die würdige Dame, die seit Jahren Witwe war und für die es nichts Lieberes und Vollkommeneres gab als ihre einzige Nichte, die sie ohnedies nur ungern von sich gelassen hatte, folgte dem Rufe des jungen Malers, hörte die Parteien an Adele in allen und entschied, daß — Punkten Recht habe. Nun folgte auch zwischen Adelens Tante und ihm eine erregte Auseinandersetzung, die damit endete, daß Erich Kramer Adelens Tante mit zornigen, verletzenden Worten aus seiner Wohnung verwies und Adele na¬ türlich damit nur noch umsomehr kränkte. Sie hatte ihm erklärt, daß sie ihrer schwer beleidigten Tante folgen werde, und er, fast sinnlos vor Aerger und Aufregung, hatte ihr wütend zugerufen, daß sie seinetwillen zum Teufel gehen möge und daß ihm eine Scheidung für immer das Liebste wäre. Der Grübelnde preßte stöhnend seine Rechte gegen die Augen. Die Szene lebte noch ganz deutlich in allen ihren Einzel¬ heiten in seiner Erinnerung. Sie war bei dem Worte „Scheidung" bis in ihre Lippen erblaßt. Im Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten war sie ganz still ge¬ wesen, hatte nur stumm genickt und dann das Zimmer verlassen. Am nächsten Tage schon war ihm eine Notiz von einem Rechtsanwalt der Stadt zugegangen, der ihn im Auftrag seiner Frau zu einer Besprechung einlud. Der Rechtsanwalt hatte ihm mitgeteilt, daß er von seiner Gattin beauftragt sei, die Scheidung in die Wege zu leiten, und er Erich — Rück¬ wolle nun mit ihm — sprache nehmen, in welcher Form die von beiden Seiten: gewünschte gerichtliche Trennung der Ehe zu bewerkstelligen sei. So war also der Bruch ein endgiltiger geworden, und Adele stand nun im Be¬ griff, für immer zu scheiden. „Für immer!“ seufzte der Maler in sich hinein und warf dann einen hastigen Blick auf die Stutzuhr auf dem Kaminsims Zehn Uhr! Um halb elf ging der Zug, mit dem sie reisen wollte. Würde sie noch ein letztes Mal bei ihm eintreten und ihm Lebewohl sagen? Er ließ sich matt in einen Sessel fallen und stützte sein Gesicht in beide Hände. Das Herz wurde ihm weich und warm, während er einer fernen, glücklichen Zeit gedachte, der Zeit ihres Brautstands. Wie lieb und zärtlich sie damals zu ihm gewesen und wie sie ihn bestrickt und be¬ zaubert hatte mit ihrer Anmut und mit ihrer jugendfrischen Schönheit! Die großen, blauen Augen schienen nur ge¬ schaffen um ihm voll Glück und Zärt¬ lichkeit zuzulächeln, die schwellenden, frischen Lippen nur dazu da, um ihm Worte voll Liebe zuzuflüstern. Mit welch frohen Zukunftshoffnungen hatte er ihr nicht einst den Verlobungsring an den nun! Finger gesteckt! Und nun — Mit heftigem Ruck sprang der Maler . auf seine Fuße und schritt erregt zu dem großen Fenster, um die heiße Stirn an die kühlen Scheiben zu pressen. Wie war es nur gekommen? Hatte er sie nicht aus Liebe gewählt, war er nicht selbst in jedem Blutstropfen überzeugt, daß auch sie nur seine aufrichtige, tief empfundene Liebe in doch Arme geführt hatte! Und doch —
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