Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

26 nun auf erneutes Bitten auch sein neues Lied vom „Widerhall“ sang, und zwar so schön und ausdrucksvoll, wie es ihm noch nie gelungen war! Der ihm gezollte Beifall wollte fast kein Ende nehmen; die Mädchen aber, denen Annas lange¬ Gespräch mit dem Gesangskünstler und dessen Vertraulichkeit mit ihr nicht ent¬ gangen war, dachten nun, sie wüßten genau, wem die schöne Strophe galt: „Ephen und ein zärtlich' Gemüt Haftet sich an und grünt und blüht Kann es weder Stamm noch Mauer finden Muß es verdorren, muß es ver¬ schwinden!“„* * Dem Anschein nach hörte Anna ruhig zu, was sich aber die anderen nur zusam¬ menstudierten, das entnahm sie dem Lied als Gewißheit!... Ein alter, munterer Bauer wollte nun durchaus von Lienhard wissen, wie er sich denn so einen neuen Gesang zusammendichte und glaubte ihm eine Versicherung nicht, als ihm der sagte: er setze sich irgendwo im Berg¬ wald oder am Seeufer hin und lasse sich's 7 eben „einfallen ! ... „Am liebsten ist mir aber stets das stille Plätzchen mit den drei einsamen Tannen am tosenden „Resselbachfall“, denn dort ist's so still und heimlich, wie in einer weltfernen Waldkapelle!“.. „Dort oben, unter den drei Rot¬ tannen?!“ meinte der Alte. „Ja, die Stelle weiß ich wohl, doch was B'son¬ deres hab' ich nie dran gesehen! „Glaub's!“ versetzte Lienhard lächelnd, „aber ab und zu findet man dort außer einem Sang auch noch ein wunderschönes Blümlein!“ Lienhard sah recht gut, wie ob dieser „ Anspielung Anna bis in die Schlafen errötete. Doch er stellte sich, als bemerke er es gar nicht!... Jedoch hohe, stille Freude erfüllte dadurch sein Herz mit eligem Entzücken, wußte er doch nun mit untrüglicher Gewißheit, von wem ihm damals der farbenprächtige Nelkenstrauß zugeflogen kam! Am anderen Tag ging Anna wieder ihrer Hausarbeit nach. Sie war aber sehr schweigsam und gab auf die Frage ihres Vaters, der durch Kränklichkeit von der Teilnahme am Feste abgehalten worden nur ganz kurze Antworten. Da mußte denn die Schwägerin dem neugierigen Alten aus dem Schatze ihrer Erfahrungen Mitteilung machen, was sie sehr bereit¬ willig tat... Dabei saß der greise Jochmüller in seinem hohen, alten Lederlehnstuhl und sah gelegentlich auf den Hofraum hinaus. Auch heute war die große Müdigkeit in den Füßen wieder, wie schon seit einiger Zeit, über ihn gekommen, so daß ihm stete Ruhe sehr behagte, während er es früher kaum ein Halbstündchen auf seinem Sitze ausgehalten hätte! Hie und da nahm er seine schwarzseidene Zipfel¬ mütze ab, drehte sie zwischen den zusam¬ mengefalteten Händen, fuhr sich wieder über den halbkahlen Scheitel und mur¬ melte unverständliche Worte. Als nun gerade seine Tochter wieder an der offenen Stubentür vorbeiging, rief er sie zu sich. „Ich hab' mit Dir zu reden!“ sagte er. „Komm’ und setz' Dich ein bissel zu mir Die Schwägerin muß eben schauen, daß sie allein in der Küche fertig wird!“ Anna nahm ihm gegenüber am großen, blankgescheuerten Eßtisch Platz. Jetzt setzte ihr Vater behaglich seine Zipfel¬ mütze auf und meinte: „Erschrick nicht aber ich mag Dir's nimmer länger ver¬ hehlen, daß es mit mir wohl die längste Zeit gedauert haben wird. Die Schwach¬ heit bring' ich gar nimmer an, und gestern, als Ihr auf der Hochzeit waret hab' ich g'meint, mein letztes Stündlein habe schon geschlagen! Eh’ zuvor aber möchte ich noch meine Sachen ordnen, und vermöcht ich's nimmer, so glaub’ ich, ich müßte mich noch in meinem Grabe um¬ drehen!... Du mußt einen Mann haben und Mühl' und Hof den Regierer! Ich hab' Dir g’wiß stets Deine Ruh' gelassen jetzt bekenn' aber auch endlich Du Farb und gesteh' mir's offen zu: Wie steht's, hast Du Dir einen 'rausgesucht?!“ Weinend hielt sich Anna ihre Schürze vor die Augen; dann, als sie sich etwas beruhigt hatte, sagte sie:

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