Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

vor sich nieder und schien die Menge der Zuschauer gar nicht zu beachten! Trotzdem bemerkte sie sehr wohl, daß Lienhard nachdem er sie erschaut, seine Blicke im langen Staunen auf ihr ruhen ließ! Je¬ doch, als er nun grüßte, geschah es mit so höflicher Kälte, als hätten sich die beiden heute zum erstenmal gesehen! Beim Hochzeitsmahl wurde der allge¬ mein gefeierte Lienhard von der Braut selber gebeten, zwischen dem Auftragen der Gerichte, was stets eine Zeit dauerte, eines seiner schönen Lieder vorzutragen! Natürlich gab's da keine abschlägige Ant¬ wort ... auch willfahrte er der Bitte, aber nicht so gern, wie sonst! ... Sein neues Lied vom „Widerhall“ jedoch zu singen, weigerte er sich entschieden! Nachdem die Hochzeitsgeschenke vor dem Brautpaar niedergelegt waren, wurden endlose Gesundheiten ausgebracht und an¬ geblasen; darauf begann der sehnsüchtig von der Jugend erwartete Tanz ... Schon standen die Paare an den Wän¬ den des Saales entlang, nur Anna tat, als merke sie nichts davon, und blieb ruhig auf ihrem Platze; als dann die Musik anfangen sollte, schritt sie festen Trittes aber mit hochgeröteten Wangen, durch den leeren mittleren Raum des Saales ge¬ räde auf Lienhard zu, der, an der Türe lehnend, mit einigen Burschen plauderte und sich das bunte, muntere Gewühl um ihn her beschaute. Sie blieb plötzlich vor dem Staunenden stehen, hielt ihm ihre Hand wie zum Einschlagen hin und sagte mit verschämtem Lächeln: „Komm' Lien¬ hard! Ich bitte Dich um den ersten Tanz! Schon wollte der junge Mann, der wirklich nicht wußte, wie ihm geschah, in der herben Erinnerung an die Kocheler Kirchweih die Bittende kurz abweisen! Durfte er jedoch das auch, nachdem sie ihn vor der ganzen zahlreichen Versamm¬ lung so herzlich aufgefordert, sichtlich be¬ müht, ihr früheres Unrecht wieder gut zu machen? — Konnte er überhaupt ihrem halb furchtsamen, halb schelmischen Lä¬ cheln widerstehen? Unfähig, diesen Augen, die ihn so liebevoll, wie einst die Kinder¬ augen des arglosen kleinen Mädchens an¬ 23 sahen, diese herzliche Bitte abzuschlagen, faßte er kräftig die ihm dargebotene Hand und trat mit Anna zum Tanze an ... Zuvor hatten alle Anwesenden voll Span¬ nung innegehalten, als sie die schöne Müllerstochter auf Lienhard zugehen sahen, ja, den Musikanten waren sogar die ersten Töne in ihren Instrumenten stecken geblieben, jetzt aber brach allseitiger brausender Beifall aus und die Musik schallte so jubelnd darein, als wäre erst jetzt der wahre Anlaß zur Fröhlichkeit Allerdings konnte gefunden worden! — sich niemand den Unterschied zwischen dem nun tanzenden Paar mit jenem, das da¬ mals auf der Kocheler Kirchweih sich im Ländler geschwungen, verhehlen! Doch auch das jetzige war nicht jeder Anmut bar, denn Lienhard mied klug genug alle Kraftäußerungen und Wendungen, die einer verkrüppelten Gestalt übel ange¬ standen wären! Da er nun ebenso leicht als zierlich tanzte, wurde das unvorteil¬ hafte seiner Figur gern übersehen! Mit ländlicher Ritterlichkeit führte Lienhard nach Beendigung des Tanzes seine schöne Partnerin an ihren Platzzu¬ Du rück und meinte herzlich: „Annerl! Dir hast mir eine Freude gemacht, die ich mein Lebtag nimmer vergesse! Tausend¬ mal und abertausendmal danke ich Dir dafür!“ „So darfst Du nicht reden, lieber Lien¬ hard!“ entgegnete Anna. „Ich tat nur meine Schuldigkeit, um mein wüstes Be¬ nehmen gegen Dich auf dem Kocheler „Kirta“ wieder ein bissel gut zu machen .Hast mir's auch wirklich vom Herzen verziehen? ... Willst auch nimmer dran denken?! Lienhards Blick, der jetzt die Jugend¬ freundin traf, quoll von der tiefen Liebe über, die sein Herz gegen sie empfand. Das Mädchen schlug davor hold errötend ihre schönen Augen nieder. Er versetzte nun: „Reden wir darüber gar nicht mehr! Ich war Dir ja nie bös! Hab' ich's doch längst vergessen, daß Dir neulich auf der Kirchweih das unfreundliche Wort gegen mich über die Lippen kam! ... Bin doch eigentlich ich an der ganzen Geschichte

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