Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

22 „Nagerln“ (Nelken) nimmer, die bei uns niemand als g'rade Du hast? ... Warum hat denn der Lienhard dann den Buschen so aufgeputzt und hingestellt, als wie auf ein Altärl? Noch erboster versetzte das Mädchen: „Alles das wird Dich gar nichts an¬ gehen! Denk' jedoch, mit uns zwei wär's doch nimmer etwas geworden! Wirklich hat mir „unsere liebe Frau von Birken¬ stein" (berühmter Wallfahrtsort nahe dem allbekannten „Wendelstein“, etwa drei Stunden vom Schliersee) selber die Augen drüber aufgemacht, was Du für ein wüster Grobian bist!“ Drauf lachte Sepp höhnisch auf: „Hast recht Dirndl! Mit so silbern=filigraner War' kann sich wohl unsereins nicht ver¬ gleichen! Wenn ich Dir zu grob bin —!“ nachher Er konnte nicht mehr ausreden, denn Anna hatte schnell die Gelegenheit er¬ späht, war hurtig wie ein Wiesel an ihm vorübergeschlüpft und lief schnell davon; ... hinter ihr aber schallte das Spottgelächter des jungen Loders ... Atemlos kam das Mädchen auf der Straße an, die sich da ziemlich steil ab¬ wärts senkt. Den üblen Eindruck von Sepps Begegnung hatte sie aber noch nicht überwunden, als sie plötzlich unten an der Straße Lienhard bemerkte, der sich vergeblich anstrengte, einen holzbe¬ ladenen Karren emporzuschieben! Beinahe stockte ihr das Herzblut und im ersten Augenblick wäre sie am liebsten wieder den Weg nach Kochel zurückgelaufen! ... Doch sie besann sich eines Besseren und meinte: „hier fände sich vielleicht die günstigste Gelegenheit, den unangenehmen Vorfall zwischen ihm und ihr wieder aus¬ zugleichen!“... So ging sie mit dem festen Vorsatz, ihn anzureden, vorwärts. Gleich¬ zeitig sah aber auch Lienhard, der etwas gerastet hatte, aufwärts und bemerkte sie ... Nun durfte sie natürlich schon deshalb nimmer umkehren, weil es sonst geradeso geschienen hätte, als jage er ihr Furcht ein! ... Als sie bereits ganz nahe bei Lienhard angekommen war, tat der noch immer, als sähe er sie gar nicht, so vertieft war er scheinbar in Betrachtung der Hölzer, die er sich wegen ihrer seltsamen Formen zu seinen Schnitzarbeiten ausgesucht hatte Jetzt aber wäre er geradezu als blind und taub zugleich erschienen, würde er sie noch nicht beachtet haben ... Sie aber legte, bald rot, bald blaß werdend, ihre vor Auf¬ regung zitternde Hand auf seinen Arm und sagte schüchtern: „Du hast zu schwer aufgeladen, Lienhard! Allein zwingst Du die Fuhr nicht die Anhöhe hinauf! ... Soll ich Dir nicht helfen?!“ Schnell hatte sich ihr der also Ange¬ redete zugewendet, und seine schönen Augen blitzten ihr freudig entgegen; sie fühlte sich wonnig durchschauert; auch sein eben als er Gesicht verfärbte sich, doch — entgegnen wollte, flog das Gedenken der so unverdienten empfangenen Beleidigung dazwischen, geradeso etwa, wie Rauchfrost die ersten Lenzesblüten zerstört, und dumpf entrang sich seinen nun fast ge¬ schlossenen Lippen die kurze Antwort: „Laß' es nur gut sein! Dort kommt g’rad die Botenzenz, wie wenn ich sie mir her¬ gerufen hätt', und die — ja die hilft mir V gern!“ ... Wirnlich humpelte diese schon im gewohnten Diensteifer daher, spannte sich auch sofort vor den Karren, und nach einem leichten Gruß, den ihr Lienhard zu¬ gerufen, ging's munter die Höhe hinan Anna hätte gerne trotz der herben Ab¬ lehnung das Versöhnungswort gesprochen jetzt aber stand sie wie festgewurzelt da —dann brach sie in Tränen aus und eilte der Mühle ihres Vaters zu. ..... ...... Als nun der Hochzeitstag von Annas Jugendfreundin anbrach, fand er sie vollständig gefaßt, denn nun stand es fest bei ihr beschlossen, daß sich bei dem Feste alles wenden müsse! ... Aus dem Grunde putzte sie sich auch so stattlich her¬ aus, daß sie beim Zug in die frühere Schlehdorfer Klosterkirche alle Mädchen durch ihre Schönheit überstrahlte, und sämtliche Anwesende nicht genug ihr Lob und ihre Verwunderung darob aus¬ sprechen konnten! ... Aber diesesmal schritt sie nicht, wie sonst immer, hocher¬ hobenen Hauptes einher, sondern sie sah

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