Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

ebenfalls die Geisteskranke pflegen, was eine fast übermenschliche Geduld und Auf¬ opferung erforderte. Das beklagenswerthe Dirndl wollte beinahe unter allen diesen Schicksalsschlägen zusammenbrechen; al¬ lein ihr starkes Gottesvertrauen und gläu¬ biges Gebet richteten Vevi immer wieder auf, denn „wo die Noth am höchsten ist ist stets Gottes Hilfe am nächsten!“ Wirklich wußte sich Vevi von ihren Ehehalten den Gehorsam zu verschaffen, auch schickte sie einen reitenden Boten in die Stadt, um den Gerichtsarzt holen zu lassen. Aber noch bevor dieser kam, tellte sich der hochwürdige Pfarrer ein, der sich persönlich von diesen zerrütteten Umständen überzeugen wollte. Die Bäu¬ erin hielt sich tagelang in ihrer Stube, welche sie sorgfältig verriegelte, einge¬ schlossen, nahm fast gar keine Nahrung mehr zu sich und verbrachte diese Zeit in wilden Anfällen unbändiger Wuth oder in theilnahmslosem Vorsichhinstarren, auch in widersinnigen Kasteiungen und überlauten Gebeten, mehr geschrien als gesprochen. Der hochwürdige Ortsgeistliche ver¬ nahm tieferschüttert den unter vielen Thränen vorgebrachten Bericht der Haus¬ tochter, der ihn jedoch veranlaßte, sofort Erkundigungen in dem ihm genannten Münchener Frauenkloster einzuziehen. Dem erfahrenen Seelenhirten war es auch jetzt schon gewiß, daß nur jene zwei Erb¬ schleicherinnen im Vereine mit dem „Kra¬ vattelwürger“ Hauptursachen des geisti¬ gen Zustandes von Frau Kathi sein mußten. Die geängstigte Vevi beruhigte er sofort und setzte ihr auseinander, daß unter den ihm geschilderten Umstän¬ den der Eintritt ins Kloster überhaupt ausgeschlossen sei, und daß nur diese lichtscheuen, gewissenlosen Menschen den Hang ihrer Mutter zur unnatürlichen Frömmelei ausgebeutet hätten. Das zusammengerufene Hofgesinde er¬ mahnte der Pfarrherr mit strengem Ernst zur gewissenhaften Pflichterfüllung, zum so Ausharren wie einst in guten Zeiten, 13 jetzt in den Tagen der Prüfung. Als er aber nun bei der Bäuerin eintreten wollte, fand er kein Gehör. Die unglückliche Frau erkannte nimmer, wer Einlaß begehrte. Das stärkere Pochen an der Thür ließ Frau Kathi in förmliche Tobsucht ver¬ fallen, so daß der Geistliche von seinem Vorhaben abstehen mußte, persönlich bei ihr einwirken zu können. Die vergeblichen Versuche sahen die Ehehalten mit stum¬ mem Entsetzen an; während die Knechte erschüttert dastanden, bekreuzten sich die die Dirnen, aber Alle, auch die Nachbarn, voll Neugierde herbeigeeilt waren, als sie ihren Geistlichen zum Roßbergerhof hin¬ aufsteigen sahen, meinten, die Wittib müßte verhext sein. Die eingetretene unheimliche Stille ward durch das Rollen eines rasch fahren¬ den Wagens unterbrochen, der trotz der Straßensteigung schnell dem Hof zufuhr und den Gerichtsarzt nebst einem Paar handfester Wächter dahinbrachte. Bereits von dem zu ihm gesendeten Boten in der Hauptsache unterrichtet, nahm der Doctor sofort eingehende Rücksprache mit dem Pfarrer und der Haustochter. Doch das jetzt wieder vernehmbare gellende Geschrei der Irrsinnigen drängte zum schnellen Handeln. Von den Wärtern gefolgt, die sich die nöthigen Werkzeuge verschafft, begleitet von Vevi, die in schmerzlicher Aufregung * 1 stöhnte, und vom geistlichen Herrn, schritt der Gerichtsarzt zur Schlafstubenthür der zu Bauerin. Aber der Aufforderung, öffnen, folgte nur ein fast thierisches Ge¬ brüll, so daß die Ehehalten, sich bekreu¬ zend, zurückwichen und ängstlich von „Be¬ sessenheit" ihrer Dienstgeberin murmelten Zur größten Vorsicht gemahnend, gebot nun der Doctor, die mit Eisen beschlagene schwere Thüre einzuschlagen. Doch kaum erdröhnte der erste Schlag auf das Schloß derselben, da antwortete schon ein ent¬ setzliches Geschrei, das selbst die stäm¬ migen Knechte erbeben ließ, und nun warf das sinnlose Weib, was ihr gerade in die Hand kam, gegen die Thüre ... Blitzschnell folgten die Schläge der Wär¬

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