Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

10 Den in gereiztem Tone versuchten wei¬ teren Einspruch des ländlichen Vampyrs schnitt nun der ehrenhafte Notar kurz und scharf ab: „Geradezu gewissenlos und vollkommen gegen meine Amtsbefugnisse würde ich handeln, sollte ich nicht ganz gründlich einer übel berathenen Mutter und noch dazu einer Witwe, das höchst Be¬ denkliche eines solchen schlechten Handels vorstellen! Bäuerin! bedenkt doch, was Alles Ihr ohne die geringste Noth hin¬ geben wollt! Gut das Vierfache ist Euer schöner Hof mit all' den Wiesen, Aeckern und dem meist schlagbaren Wald ohne le¬ bendes und todtes Inventar werth, als was Euch hier in dem Angebot dieses Herrn da geschlagen und wahrscheinlich nicht einmal ganz baar bezahlt wird.“ Jetzt war der Wucherer fast nimmer zu halten. Diese so gut gemeinten Vorstel¬ lungen des biederen Beamten brachten ihn um den letzten Rest seiner bereits mühsam bewahrten Fassung. Giftig und heftig ergriff er neuerdings das Wort, um dem Notar zu bedeuten, daß es nur seines Amtes sei, Verträge über von den Parteien gewünschte Verkäufe zu schließen und sich dafür bezahlen zu lassen; die Ermahnungen aber möge er nur für sich behalten. Er hätte es mit bejahrten Leu¬ ten und keinen Kindern zu thun. „Gewiß!“ erwiderte dieser gemessenen Tones, „ist das meine Amtspflicht, aber meine Menschen pflicht gebietet mir ebenso, mich gründlich darüber zu unterrichten, ob ein, wie hier deutlich er¬ sichtlich, nicht in seiner ganzen Tragweite ermessener Entschluß auch durchaus in allen seinen Folgen überlegt ist... Also noch einmal frage ich Euch, Roßberger¬ „ Bauerin, seid Ihr wirklich entschlossen, fest entschlossen, um den Schleuderpreis Euer Besitzthum mehr zu verschenken als zu verkaufen?“ Stotternd entgegnete die Bäuerin: „Ja ich muß doch wegen meines Seelenheiles! Auf diese seltsame, von Geistesverwir¬ rung zeugende Aeußerung erwiderte der schon bejahrte Notar mit eindrucksvoller Stimme: „So, wegen Eures Seelenheiles Habt Ihr denn da vor Allem Euren Seel¬ sorger, Euren hochwürdigen Pfarrer, be¬ fragt? Gilt es wirklich Euer Seelenheil, dann ist dieser geistliche Herr der richtige Mann, Euch zu rathen und beizustehen. Nun also, Roßberger=Bäuerin, habt Ihr Euch schon mit dem Herrn Pfarrer be¬ sprochen?“ Wieder wollte der Wucherer aufbrau¬ sen, aber der Beamte winkte ihm so ernst ab, daß der „Kravattelwürger“ erblassend verstummte. „Nicht Euch — die Bäuerin habe ich gefragt!“ sagte der Notar, und diese erwiderte zögernd und leise, als wenn sie sich vor dem Tone der eigenen Stimme fürchte: „Nein, das habe ich nicht gethan! Die eindringliche Mahnung des Be¬ amten hatte nun wenigstens bewirkt, daß vorerst die Verkaufsverbriefung unter¬ blieb. Dem Wucherer aber lag Alles daran, sein Opfer nicht mehr aus seinen Krallen zu lassen, deshalb nöthigte er Frau Kathi unter ungeheuren Zinsen ein größeres Darlehen auf... Den Weg zu ihrem Ortsgeistlichen hatte die Bäuerin gescheut, da sie den gediegenen Charakter und die Gewissenhaftigkeit dieses Priesters zu gut kannte und befürchten mußte, daß er sie streng von einem derartigen Vor¬ haben abhalten würde. Ihr grenzenloser Eigensinn und stark vorgeschrittener re¬ ligiöser Wahn machte sie aber für alle ehrlichen Warnungen taub und verstockt, und sie war überzeugt, daß sie sich nur durch den Eintritt in ein Kloster das Himmelreich gewinnen und ihren verstor¬ benen Mann aus seiner dermaligen Pein erlösen könne. Natürlich bestärkten die beiden Helfershelferinnen des „Kravat¬ telwürgers“ die Bedauernswerthe in ihrer geistigen Verirrung, und stellten ihr vor, hiezu seien mindestens zehntausend Mark nöthig; diese bedeutende Summe gab auch der Bauernvampyr gern und sofort her; als nun die Bäuerin mühsam den Schein unterzeichnet hatte, schuldete ie gerade das Doppelte! Alles dieses Geld wanderte ungezählt, ja sogar unbeschaut in die gierig darnach ausgestreckten Hände

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