Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

2 dachtsübungen hinderte, verwendete sie fast die ganze Zeit auf diese und überließ ihrer bereits erwachsenen Tochter Vevi, einem stattlichen Mädchen mit braunen Augen, langen, dunkelblonden Zöpfen und voller, kräftiger Gestalt, die ganze Leitung des Hofes. Die nun hatte schon zu ihres — Vaters Lebzeit arbeiten müssen, kannte und liebte jedes ländliche Geschäft und vereinte mit emsiger Thätigkeit auch die Umsicht ihres hellen Verstandes; darum hatte sie die Leitung der Hofangelegen¬ heiten gern übernommen und gab sämmt¬ lichen Dienstboten, oder, weil man diesen in jenen Gegenden noch jetzt die alte schöne Bezeichnung ertheilt, den „Ehehalten“. durch ihre eigene tadellose Vorarbeit das beste Beispiel!... Kaum krähte am Mor¬ gen der Haushahn zum erstenmal, war die Haustochter schon aus den Federn und ging dann erst zu Bette, wenn sie sich über¬ zeugt hatte, daß das Vieh versorgt, Thü¬ ren und Thore verschlossen und jedes Licht ausgelöscht war. In dieser Hinsicht hatte das ebenso brave als hübsche Mädchen ganz die Energie des Vaters geerbt, der sofort jeden Knecht, den er mit glimmen¬ der Pfeife oder offenem Licht im Stalle oder gar in einer der Scheunen ertappte, ohne Gnade davonjagte. Auch in den Handelsinteressen bewies sich Vevi ebenso klug als kraftvoll, und stets fuhr sie selber, begleitet vom „Bau¬ mer“ (Baumann, Oberknecht) zur Schran¬ ne. Sie suchte und fand bequemeren und vortheilhafteren Absatz bei Brauern und Großhändlern und brauchte nun nicht mehr den ganzen Vormittag auf dem Schrannenplatze zu verweilen und mit Unterhändlern und Juden herumzufeil¬ schen! So kam's denn, daß schon lang vor der Mittagszeit das wirthliche, unter¬ nehmende Mädchen ausverkauft und mit dem von Silbergeld strotzenden Leder¬ gurte auf der Heimfahrt begriffen war während in der „Stadt“ die meisten Bauern erst wenige Metzen Korn, Weizen oder gar Gerste verschleißt hatten. Das erfuhr man natürlich überall in der gan¬ sich zen Umgegend, denn so etwas „spricht gleich herum“ und alle Vollbauern und „Tröpfelhäusler“ (kleine Landwirthe) be¬ kamen ganz gehörige Hochachtung vor der „reschen“ (entschlossenen) Roßberger Vevi. Die Frömmigkeit der Bäuerin ward allmälig zum religiösen Wahnsinn Eigennützige Leute der schlimmsten Sorte drängten sich an die Witwe heran, malten ihr, sie in ihrer andächtigen Geistesstörung bestärkend, die Qualen der Hölle mit den grellsten Farben vor, deuteten auch an, daß sie ihren unglücklichen Mann in seinen der mitten so recht Sünden vor Gottes Richterstuhl ge¬ fordert worden sei, aus der „drü¬ bigen“ Strafe zu erlösen habe — darum □ müsse sie ihre Tochter in das Kloster schicken, ihr Anwesen verkaufen, milde Stiftungen machen und dann selber den Schleier nehmen. Leider schenkte die Bäu¬ erin den Einflüsterungen dieser argen Menschen zu williges Gehör, und manche dieser zweideutigen Persönlichkeiten, wel¬ che spinnengleich die Wittib mit ihren schie¬ dunklen Netzen umsponnen hielten nen gar nicht üble Lust zu haben, sich förmlich auf dem Roßbergerhofe einzu¬ häuseln, um so gleichsam ihr Opfer immer unter den Augen zu haben und die andere beutelustige Sippschaft stets mit Thun und Lassen desselben auf dem Laufenden zu erhalten. Vevi, die mit ebenso klaren und gesunden geistigen wie körperlichen Augen dieses seltsame Kommen, Gehen und Treiben beobachtete, drängte es gar oft, darob die Mutter eingehend zu be¬ fragen, allein kindliche Ehrfurcht drängte die Frage stets wieder von den Lippen zurück, da es ihr als Tochter und Kind nimmer zustand, der Mutter und Hof¬ besitzerin vorzuschreiben, welche Leute sie sich als Gäste in ihrem Eigenthume ein¬ laden wolle! Uebrigens konnte sich gerade jetzt das Mädchen weniger als je um das lichtscheue Thun der Erbschleicher beküm¬ mern, denn fast über Nacht war das Herz desselben im vollen Aufruhr gegen die ebenso liebenswürdige als einnehmende Herrin gerathen und schlug heftiger als je, seitdem zum ersten Male der mannhafte

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