Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

106 wies dann in derselben nach einem stoff¬ verhüllten kleinen Gerüste gleich neben der Pforte und winkte den Meßner herbei, der eben an einem Seitenaltar die Kerzen aus¬ wechselte. Mit stummer Geberde wies der Abt den Meßner an, die Hülle von dem Bilde zu entfernen. „Wie schön, wie lebenswahr diese schmerzgebeugte Gottesmutter dochist“, sagte Frau Rosamunde bewundernd, „und 77 wie erhaben in seiner Schmucklosigkeit! Und wie einer plötzlichen Eingebung folgend, sah die Edelfrau den Abt fragend an und meinte mit durchgeistigtem Lächeln: „An Weihegeschenken wird es diesem Kunstwerk gewiß nicht fehlen, denn ein Blick in dieses milde Dulderantlitz kann chon das leidende Herz der Menschen be¬ ruhigen und stärken, das merk' ich wohl, Ihr erlaubt doch, hochwürdigster Herr Abt, daß ich die Erste bin, die dieses Bild mit einem Weihgeschenke schmückt?“ Und ohne eine Antwort des überraschten Abtes abzuwarten, nahm Frau Rosamunde das kostbare, herrliche Kreuz mit der chweren goldenen Kette von ihrem Hals, stieg auf den vor dem Bilde befindlichen Schemel, legte der Statue Kette und Kreuz gar zierlich um und sagte dabei bedeutungs¬ voll in Wort und Blick: „Es ist mein liebster,theuerster Schmuck, Herr Abt, hab’ Kreuz und Kette von meiner Frau Mutter seelig am Hochzeitstage erhalten, trenne mich nicht leicht davon, aber die Losensteiner bringen gern der Gottesmutter eine kleine Gabe für deren Fürbitte dar!“ Der Abt sah die Losensteinerin an, verstand deren Thun und sagte es sich, daß dieses Weihegeschenk eigentlich ein Sühnopfer war, das diese edle Frau für die schlimmen Thaten ihres Gemals brachte. Aber er sagte das nicht, denn er war so feinfühlig wie die Losensteinerin und nur aus seinen feuchtschimmernden guten Augen konnte Frau Rosamunde es ersehen, daß er verstand, was sie be¬ absichtigte, und es billigte. Erst als sie vom Schemel herabstieg und demuthsvoll das Haupt neigte vor dem Abt, machte der segnend das Zeichen des heiligen Kreuzes und murmelte in tiefer innerer Erregung: „Wir werden dieses — Weih geschenk hoch in Ehren halten, Gottes reichsten Segen über Euch, edle Frau!“ Und schweigend schritten die Drei aus der Kirche hinaus. Kurze Zeit darauf hielt des vom Losen¬ steiner erschlagenen Garstner Hausmeiers Tochter Lise mit ihrem Mann ihren Einzug als Wirthschafterin am Dambach¬ gute der Frau Rosamunde, und als im nächsten Jahre unter Vermittlung des Burggrafen Georg von Wolkenstorff und des Pfarrers Thungassinger zwischen dem Kloster Garsten und Hartneid von Losen¬ stein ein Vergleich abgeschlossen wurde, erhielt das junge Ehepaar von Frau Rosa¬ munde die Freiheit und einen Bauernhof unweit von Losenstein, nahe der Enns, und wenn Frau Rosamunde ab und zu dort ihre Schützlinge besuchte, deren pausbackige Kinder und blühendes Anwesen sah, dann dachte sie wohl nicht ohne kleine Wehmuth für sich selber: „So ganz schlimm ist es doch nicht ausgefallen — das kalte Mittag¬ mahl!“

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