England. Für den 26. Juni 1902 war die feierliche Krönung König Eduard VII. anberaumt gewesen — Glanzvoll waren die Vorbereitungen unter ungeheurer Theilnahme des englischen Volkes der fürstlichen Vertreter der fremden Staaten der Abordnungen aus den Colonien des briti¬ schen Weltreiches hätte der feierliche Act vor sich gehen sollen. Wohl durchschwirrten schon eit längerer Zeit Gerüchte über eine gefährliche Erkrankung König Eduard VII. die Welt. Aber sie wurden in officiöser Form dementirt und als es zum Schlusse hieß, daß der König wieder vollständig in der Lage sei, sich den Mühen und Anstrengungen, welche die Krönungsfest¬ lichkeiten im Gefolge haben, zu unterziehen, da chien auch schon die große Feier mit all ihrem Glanze, ihrem Pomp, ihrem historischen Ge pränge gesichert. Da brachte am 24. Juni 1902 der Telegraph der Welt die Kunde, daß die Krönungsfeier auf unbestimmte Zeit verschoben sei und ein officielles Bulletin besagte: „De¬ König, welcher an Perityphlitis (Blinddarm befand sich letzten entzündung) erkrankt ist, Samstag so gut, daß man hoffen konnte, die Krönung werde dank der Schonung, die sich der König auferlegte, zur festgesetzten Zeit stattfinden können. Der Zustand des Königs verschlimmerte sich jedoch gestern Abends derart, daß sich heute die Vornahme einer Operation als nothwendig erwies.“ Von anderer Seite wurde die Krankheit des Königs Eduard als Appendicitis, eine vor der Perityphlitis klinisch schwer zu trennend Krankheit bezeichnet. Die eigentliche Natur des Leibens König Eduard VII. ist bis heute noch ein Geheimniß der Aerzte. Noch am 24. Juni wurde um 2 Uhr Nachmittags im Buckingham Palaste die Operation des Königs mit Erfolg vollzogen. Es wurde ein großer Absceß entfernt. Nach vollzogener Operation reisten die fremder fürstlichen Gäste von London wieder ab. Das Bild Londons nahm allmälig seinen alltäglichen Charakter an, aber der Schade, welche die Lon¬ doner Geschäftswelt durch die Verschiebung der Krönung erlitt, bezifferte sich nach Millionen. Rascher als erwartet, erholte sich König Eduard von den Folgen der Operation, aber bis zu dem Momente, da wir den Bericht chließen, war es unmöglich zu bestimmen, ob die Erholung eine dauernde und wann die ver¬ chobene Königskrönung?) stattfinden werde. *) Dieselbe fand am 9. August 1902, jedoch nicht unter Intervention fremder Fürsten und nicht in jener pomp¬ haften Weise und mit jenen Festlichkeiten statt, wie sie für den ursprünglich in Aussicht genommenen Krönungstag festgestellt worden waren. Die Ceremonie in der West minsterabtei machte nach Berichten von Augenzeugen einen mehr theatralischen als weihevollen Eindruck, dies gil namentlich von der eigentlichen Krönung, da beim Auf¬ etzen der Krone aufs Haupt des Königs die Glühlampen der Luster über dem eigentlichen Schauplatze der Handlung plötzlich hell erstrahlten, was die Zuschauer aus Wien lebhaft an die bekannte, an und für sich reizende Weihnachtsbaum¬ episode im Ballet „Sonne und Erde“ erinnert haben soll. 87 Am 11. Juli 1902 gab der englische Premier minister Lord Salisbury seine Demission. Zu seinem Nachfolger wurde Arthur James Bal¬ four ernannt. Am 6. August 1901 trat das englische Schiff „Discowery“ eine Erforschungsreise nach dem Südpol an. Leiter der wissenschaftlichen Expedition ist Director George Murray. Rußland. Das große europäisch=asiatische Reich konnte auch in der Berichtsperiode einen dauernden inneren Frieden nicht finden. Zu den Studenten unruhen, welche auch diesmal wieder in ver¬ schiedenen Universitätsstädten (Februar 1902: Moskau, Petersburg, Kiew und Charkow) und außerdem in Kischenew (Beßarabien), wo sich im October 1904 plötzlich Studenten aus verschiedenen Universitätsstädten Rußlands einfanden, aus brachen, gesellten sich diesmal Arbeiterunruhen 1901) und gegen die Gutsbesitzer ge¬ October richtete Bauernunruhen (April und Mai 1902 in den Gouvernements Woronesch, Podolierz, Kursk Jekaterinoslaw, Charkow Poltawa und Tomsk) welche zumeist einen revolutionären Charakter annahmen, so daß dieselben mit Waffengewalt unterdrückt werden mußten. Diese fortwährenden Unruhen im Czarenreiche dürften sich für das feste Gefüge desselben mit der Zeit umso ge¬ fährlicher gestalten, als auch das Militär seine Sympathien für die Unruhestifter hie und da ganz offen zur Schau trug. So wurden in Moskau im März 1902 24 Officiere verhaftet, weil sie sich geweigert hatten den Soldaten die Ordre mit¬ zutheilen, daß sie bei der erstnächsten Gelegenheit auf die demonstrirenden Arbeiter und Studenten werden schießen müssen. Auch in der Berichtsperiode setzte Rußland seine Maßnahmen zur gewaltsamen Russificirung Finnlands fort, ohne den passiven und theilweise auch activen Widerstand des wackeren für seine Selbständigkeit, seine Sprache und seine ver¬ brieften Rechte kämpfenden finnischen Volkes brechen zu können. Mit kaiserlichem Manifest vom 12. Juli 1904 wurde ein neues Statut über die Wehrpflicht in Finnland eingeführt, nach welchem das finnische Garde=Scharfschützenbataillon und das finnische Dragonerregiment wohl aufrecht¬ erhalten, die anderen finnischen Schützenbataillone aufgelöst wurden. Im Monate December wurd das Erscheinen dreier in Finnland herausgegebener Zeitungen für immer verboten und das weiterer sieben auf die Zeit von einem bis fünf Monate istrt. Diese verschiedenen Unterdrückungsmaß nahmen führten zu einer Reaction im Volke. Als am 17. April 1902 der Gouverneur des Bezirkes Finnland in Helsingfors die Controlversammlung der stellungspflichtigen Recruten, zu welcher von 857 Stellungspflichtigen nur 57 erschienen waren, abhalten wollte, kam es zu lebhaften Unruhen. Ein Polizeicommissär wurde schwer verletzt und
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