72 die Adresse des ungarischen Fabius cunctator gerichteten Enunciation veranlaßt sah und im Laufe des Monats Juni 1902 dem ungarischen Cabinette notificirte, daß Oesterreich die Handels¬ verträge kündigen wolle. Erst einem am 10. Jul 1902 unter dem Vorsitze des Kaisers undin Anwesenheit des Ministers des Aeußern in Wien abgehaltenen Kronrath war es vorbe halten, die Bahn für die Verhandlungen wieder frei zu machen, und ein weiterer Ende Juli abgehaltener Kronrath hat eine weitere Milde¬ rung der Gegensätze herbeigeführt, so daß die Erwartung gerechtfertigt ist, daß die Ausgleichs verhandlungen der beiderseitigen Regierungen in rascherem Tempo fortgesetzt und zu einen gedeihlichen Abschlusse geführt werden dürften, wobei hoffentlich nicht wieder die österreichisch Reichshälfte allein die Kosten dieser Annähe¬ rung zu tragen haben wird Da zwischen den gesetzlichen Vertretunger der beiden Reichshälften ein Uebereinkommen über die beiderseitigen Beitragsquoten zu den Kosten der gemeinsamen Angelegenheiten nich rechtzeitig zustande gekommen war, wurde die Quote durch die Krone im bisherigen Ausmaße für die Zeit vom 1. Juli 1902 bis 30. Juni 1903 festgestellt. Die innerpolitischen Verhältnisse Oesterreichs werden noch immer durch den unseligen Zwist der beiden Böhmen bewohnenden Volksstämme beherrscht; die Begehrlichkeit der Tschechen zwing die Deutschen stets von Neuem, auf ihrer Hut zu sein, um ihre angestammten und wohlbe gründeten Rechte unverkürzt zu erhalten. Eine immerwährende Gefahr für den inneren Frieden Cisleithaniens bildet die immerwährende For derung der Tschechen nach Einführung der inneren tschechischen Amtssprache, und wenn Ende Juli 1902 die Wortführer der Tschechen mit der Drohung hervortraten, daß sie nur gegen das Zugeständniß der Wiedereinführung oder richtigen gesagt, der Einführung der inneren tschechischen Amtssprache bewogen werden könnten, von der Obstruction gegenwirthschaftliche Vorlagen, welche auch außerösterreichische Staaten be¬ treffen, abzulassen, so sollte nicht vergessen werden, daß die Einführung der inneren tschechischer Amtssprache von Seite der Deutschen sofort mit der Obstruction beantwortet werden würde, daß dann somit an die Stelle der angedrohten tschechischen Obstruction die factische deutsche Ob struction treten würde und was diese zu be¬ deuten hat, das hat das Ministerium Badeni wohl schon zur Genüge an sich erfahren. Als ein Verdienst darf es dem Ministerium Koerber an¬ gerechnet werden, daß es ihm trotz dieser widrigen innerpolitischen Zustände durch seine Wirthschaftspolitik gelungen ist, in der Berichts periode ein elementares Hervorbrechen des na¬ tionalen Zwistes in Böhmen zu verhindern, und daß er es verstanden hat, eine Art modus vivend zwischen den in Böhmen wohnenden Nationen, ja sogar ein friedliches Zusammenwirken derselben in wirthschaftlichen Fragen herbeizuführen Die kluge Taktik des Ministeriums äußerte auch ihre günstigen Wirkungen auf die parla¬ mentarischen Verhältnisse. Die Verhandlungen des gleich dem Herrenhause mit kaiserlichen Handschreiben vom 30. September 1901 zur Wiederaufnahme seiner Thätigkeit aufden 17. October 1901 einberufenen Abgeordneten¬ hauses, welches mit einer größeren Unterbre¬ chung bis 18. Juni 1902 tagte— die Ver¬ tagung des Reichsrathes erfolgte am 20. Juni 1902 — liefern hiefür einen sprechenden Beweis Wohl kam es auch während dieser Tagung zu heftigen Debatten, zu nationalen Reibungen, jo sogar zu manchen bedenklichen Sturmscenen auch die passive, wie die active Obstruction wurde nicht aus der parlamentarischen Praxis ausgeschaltet; so obstruirten die Tschechen, freilich ohne Erfolg, gegen die von der Regierung projec¬ tirte Fahrkartensteuer und veranlaßten dadurch die vom Kaiser allerdings nicht angenommene De¬ mission ihres Landsmannministers Dr. Rezek so verhinderten die Alldeutschen, durch ihre be¬ rechtigte Opposition die Erledigung der Vor¬ lage, betreffend das Uebereinkommen mit der Donau=Dampsschiffahrts=Gesellschaft; aber im Ganzen wurde emsig und ernst und zuweilen auch rasch gearbeitet. In der Herbsttagung, welche vom 17. Oc sober bis 18. December d. J. dauerte, wurden vom Abgeordnetenhause nachstehende Vorlagen in dritter Lesung erledigt: die Regierungsvor¬ lage, betreffend die Gewährung von Nothstands¬ crediten; die Regierungsvorlage, betreffend die theilweise Abänderung des Gesetzes über die Ausdehnung der zeitlichen Befreiung von der Hauszinssteuer bei Neubauten, welche im Ge biete der Stadtgemeinde Brünn aus öffentlichen Assanirungs= oder Verkehrsrücksichten vorge¬ nommen werden; die Regierungsvorlage, be¬ treffend die Verlängerung der Wirksamkeit der Bestimmungen über Stempel= und Gebühren¬ befreiungen aus Anlaß der Auftheilung der culturfähigen Gemeindegründe in Dalmatien; das Budgetprovisorium für die Zeit vom 1. Jänner bis Ende März 1902; die Regie¬ rungsvorlage, betreffend die Errichtung von landwirthschaftlichen Berufsgenossenschaften; drei Regierungsvorlagen, betreffend die Veräußerung von Militär=Immobilien in Brünn, Krakau und Czernowitz; der Beschluß des Herrenhauses, be¬ treffend die Abänderung der Gewerbeordnung (§§ 59 und 60); die Regierungsvorlage be¬ treffend die Gewährung von Gebührenbefreiungen für Anlehen von Gemeinden und anderen auto¬ nomen Verbänden; das Gesetz, betreffend den Meliorationsfond; die Regierungsvorlage, be¬ treffend die Regelung des Consulargebühren¬ wesens; die Regierungsvorlage, betreffendBe¬ stimmungen über die Ruhegenüsse der katholi¬ schen Seelsorger an gemeinnützigen Anstalten;
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