64 dasselbe. Mit dunkelrothem, fieberglühen¬ dem Gesichte und geschlossenen Augen lag Es kurz athmend in den weißen Kissen, die Händchen bewegten sich unruhig hin und her. Eben hatte die Wärterin wieder eine frische Compresse auf das heiße Köpf¬ chen gelegt. Mit tiefernster Miene unter¬ suchte der Vater das Kind, während seine Gattin, mit Todesangst in den Zügen, in seinen Mienen forschte Eine Gehirnentzündung“, sagte er mit tonloser Stimme. „Beten wir zu Gott Elisabeth, daß er uns das Kind erhält“, fügte er hinzu. Es kamen schwere Tage und noch schwe¬ rere Nächte. Vater und Mutter wichen nicht von dem Bettchen des Lieblings. Eben war Dr. L., der die Behandlung des Kindes weitergeführt, dagewesen und hatte den Zustand des Kindes als hoff¬ nungslos bezeichnet. Es war Abend. Die Lampe verbreitete einen matten Schein durch das Zimmen es war still, man hörte nur das leise Schluchzen der Mutter, die auf ihren Knien lag und heiß zu Gott um das Leben des Kindes flehte. Der Doctor trat zu ihr und hob sie auf „Lege Dich etwas hin, Elisabeth“ sagte er zärtlich zu ihr; „Du hast Ueber¬ menschliches geleistet und bedarfst der Ruhe. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust er schlang den Arm um sie, so standen sie lange, lange Leis’ war's im Zimmer. Die Wärterin hatte die Mutter abgelöst und stand am Kopfende des Bettes. Es war, als ob der Todesengel mit unhörbaren Schritten nahte, um die reine Kindesseele hinauf¬ zuführen ins Land des ewigen Friedens. Elisabeth ruhte auf der Chaiselongue, sie war eingeschlafen; plötzlich wachte sie au das Kind — o Gott — eine unnenn¬ bare Angst bemächtigte sich ihrer, sie stand auf, um ins Nebenzimmer zustürzen, da erschien mit glückstrahlender Miene ihr Mann auf der Schwelle. „Elisabeth, unser Es ist gerettet! Die Medicin hat gewirkt — der ersehnte Schweiß ist eingetreten!“ kam es jubelnd von seinen Lippen. Da lag sie laut schluchzend an seiner Brust. Sie dankten Beide Gott mit heißen Worten, dann traten sie ans Fenster, und nun kam es von ihren Lippen wie ein Strom, der endlich den Damm erbrochen. Sie sagte und beichtete Alles, was sie ge¬ litten, was ihr Inneres zerwühlt. Der Doctor war sehr ernst geworden. „Armes Weib“, sagte er, „was mußtest Du gelitten haben! Aber warum hattest Du kein Vertrauen zu Deinem Gatten? Weißt Du nicht, daß der Ring am Altar der Treue übergeben wird? Durch Ver¬ trauen und Offenheit konntest Du Dir und mir qualvolle Stunden ersparen.“ Bei diesen Worten griff er in seine Tasche und holte ein Couvert heraus, das er ihr reichte. Sie entfaltete es und las sie traute ihren Augen kaum — die Ver¬ lobung Rosalie's mit einem Vetter ihres Mannes. Scheu sah sie zu ihrem Manne auf. Er lächelte. „Wie Du weißt, mußte Gustav damals, Schulden halber, den Dienst quittiren. Die Beiden, er und Rosalie, liebten sich und bewahrten sich die Treue. Es ging Alles durch mich, aber sprechen durfte ich nicht davon, des Onkels wegen, der nichts mehr von Gustav hören wollte. Jetzt ist Alles geebnet, Gustav ist hier, um sich seine Braut zu holen, die Hochzeit steht vor der Thür, bei der wir natürlich nicht fehlen dürfen, denn wir heiraten noch einmal auf gegenseitigen Glauben und ge¬ genseitiges Vertrauen.“ Unter dem Fenster blühten süß duftend die Blumen, ein Hauch des Friedens lag über der ländlichen Gegend, im Neben¬ zimmer schlief Es den Schlaf der Ge¬ nesung und auf dem Fensterbrett saß ein kleiner Vogel und äugte neugierig mit schiefem Köpfchen nach dem glücklichen Paare, das fest umschlungen am offenen Fenster lehnte.
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