Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

56 Das war ein harter Schlag für den Mann. Vernichtet sank er in sich zusam¬ men. Einen solchen Einsturz seines Glücksgebäudes hat er jetzt nicht mehr er¬ wartet! — jetzt, wo er eben erst seinen Glauben befestigt zu haben vermeinte jetzt sieht er sich doch noch betrogen, ge¬ täuscht, auf schändliche Weise hinter¬ gangen. Diese unerhörte Unaufrichtigkeit, die ist's vor Allem, die ihn in Wuth bringt o, er könnte seine Frau niederschlagen dafür. Seine ganze Roheit ist entfesselt durch die Entdeckung, daß sie den Sparpfennig wohl besaß, daß sie ihn aber leichtsinnig verschleuderte; — jenen Sparpfennig, wegen dessen er sich — wenn er ehrlick — sein will, muß er es gestehen! eine ältliche Frau, die ihm damals eigentlich ganz gleichgiltig war, zugelegt hatte. Daher also stammte das gute Leben, das sie führten; —ihrer Verschwendung hatte er es zu danken, daß er mit Pelz und Uhr geschmückt einherging! O wenn er das gewußt hätte! Wie gerne hätte er auf solche Herrlich¬ keit verzichtet, wenn sie die Einbuße von Netti's Vermögen zur Folge haben mußte. Und seine Frau kannte ihn doch auch als sparsamen Menschen, der wenig Ansprüche machte. Warum also opferte sie nur Alles? Er hätte es wahrlich nicht verlangt! Jetzt ist's aber aus zwischen ihnen Beiden. Das verzeiht er ihr nie Sie soll ihm nur nach Haus' kommen! Das mag heut' ein Abend werden, wie sie noch keinen erlebt hat! Und sie kam wirklich. Früher als gewöhnlich von solchen Ge¬ ellschaftsabenden, und von einer gewissen Unruhe getrieben Zaghaft betritt sie das kleine Stübchen schön geordnet hat sie es vor Kurzem zurückgelassen und jetzt starrt sie ent¬ setzten Blickes in einen Wirrwarr schon an der Thür stolpert sie über Wäsche¬ bündel, die aus ihrer Truhe stammen müssen! Sie reibt die Augen, um besser sehen zu können — und jetzt wird ihr Alles klar! Dort drüben steht ihr Mann mit zorn¬ rothem Gesichte, seine Fäuste sind geballt seine Blicke wandern drohend von der geöffneten Truhe zu ihr hin. Er weiß Alles. Jetzt gibt's wohl ein Unglück. Sie kennt ihren Lorenz, mit dem ist nicht zu spaßen. Nun, wie Gott will — sie hat es ja geahnt, daß es einmal so kommen würde. Da stürzt er auf sie zu — Sie duckt sich zusammen. Doch er hält plötzlich an. „Nein, ohne Verhör soll man nicht richten“ sagte er — zu sich selbst und „vertheidige Dich wenn Du kannst —“ brüllte er die zit¬ ternde Frau an. Da wirft sich ihm Netti zu Füßen. „Ich kann nicht, Lorenz; ich hab' ja wirklich gelogen und geschwindelt all' die Jahre her. Ich weiß auch, Du wirst mich jetzt todtschlagen —: thu's! Ich will Dir nock danken. Nur so hart strafe mich nicht, daß Du mich fortjagst; denn sieh — ein¬ mal laß mich Dir's sagen, ein einziges¬ mal nur! — ich liebe Dich zu sehr! Da ist der Tod tausendmal besser als das Alleinsein —.“ Der Mann glaubt nicht recht zu hören. „Du liebst mich —?“ fragt er, seinen Zorn zurückdrängend, „Du, mit Deinem ruhigen Wesen? „Mein Gott, der Martin verrieth mir's doch, daß man Dir nicht mit solchem „Ge¬ fasel“ kommen dürfe. D'rum zwang ich mich eben zur Ruhe. □ „Ist das wahr, Netti?“ „Gott ist mein Zeuge! —und oft kam es mir hart genug an. Da zieht er sie zu sich herauf, an seine Brust. Sein Zorn scheint verraucht. Sie liebt ihn! Das steht mit leuchtender Schrift vor seiner Seele. Und er fühlt eine mächtige Wandlung in seinem In¬ nern vor sich gehen. Nicht mehr als ein Richter ihrer Fehler steht er vor ihr; wie eine Mutter dem Kinde seine Verirrungen vorhält, so spricht der starke Mann zu der um so viel älteren Frau: „Höre, Netti, wenn Du mir wirklich gut bist, dann ist

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