Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

Doch unbarmherzig greift er hinein. Stoß um Stoß fliegt ein Pack nach dem anderen auf den Boden. Da — etwas Steifes. Also doch wohl das Buch —? ein Bild. Nein — Wen es wohl darstellt? — und Lorenz hat es eine Weile roth vor den Augen! Endlich faßt er sich. Wüthend fetzt er die Hülle von Seidenpapier herab *: sein Bild! — sein eigenes Bild! —und seine Aufregung legt sich. Aber wie kommt sie zu diesem Bilde? Er hat ihr doch nie eines geschenkt. Ja, er ließ sich überhaupt erst einmal, und da nur auf besondere Aufforderung des Pho¬ tographen aufnehmen. Der brauchte das Bild für seine Auslage. Lorenz that dem wunderlichen Kauz wohl den Willen, aber er lachte den Mann tüchtig aus. Was der nur an ihn fand? — Und ein Bild ließ er sich damals nicht geben. Wozu hätte Das war vor er es denn gebraucht? — einem Jahre geschehen. Und Netti mußte sich also wohl selbst die theure Photogra¬ phie gekauft haben. Seltsam— höchst seltsam. Ja, wenn sie noch verliebt gewesen wäre. Dann hätte er solchen Unsinn begrif¬ fen. Aber das war sie ja gar nicht. Und er wußte selbst nicht, sollte er sagen: glücklicherweise oder leider. Im Anfange ihrer Ehe war ihm ihr ruhiger Gleichmuth wohl ganz recht ge¬ wesen. So wollte er seine Häuslichkeit haben, so schön vernünftig, wie er das nannte. Aber dann, mit der Zeit, als er fand, daß Netti eigentlich noch gar nicht so alt sei und daß ihr frisches, glattes Gesicht und ihr glänzend braunes Haar auch von Anderen ganz hübsch gefunden wurde, da wäre es ihm nicht unlieb ge¬ wesen, wenn sie doch auch ein bißchen mehr Leben und Empfindung verrathen hätte Doch sie blieb sich unverändert gleich. Allein, jetzt ist keine Zeit, darüber zu grübeln. Hastig durchwühlen seine Hände den viel gibt's da letzten Inhalt der Truhe — freilich nicht mehr zu durchsuchen, und 55 seine Hoffnung, das Einlagebuch doch noch zu finden, sinkt mit jedem Augenblick. Jetzt kommt er auf den Boden und dort, in einem Büchlein wohlverborgen, entdeckt er abermals etwas Hartes, Vier¬ kantiges. Er langt danach mit gierigen Fingern. Kein Zweifel mehr — es ist ein Buch! Er zieht es hervor Gottlob! da ist es endlich, das Vielbe¬ zweifelte! Sie hat also doch nicht gelogen, sein liebes, gutes Frauchen! Und im Geiste bittet er ihr jetzt alle seine schwarzen Ver¬ dachtsgedanken ab. Wie konnte er nur je so häßlich sein, an ihr zu zweifeln? Na, aber in Zukunft, da will er Allesgut bei machen und ihr voll vertrauen, denn Gott, sie verdient es. es Dann klappt er das Buch auf trägt ihren Namen — nun ja, natürlich, wessen Namen sollte es denn tragen? Hat er etwa noch einen Zweifel gehegt? Ach behüte. Er weiß ja jetzt Alles. Und die Einlagen —! Wie die nur schöngereiht dastehen, so sauber die Schrift, so gleich¬ mäßig die Eintragungen, Alles richtig verzeichnet, meiner Treu, nahezu tausend Gulden! ist Herr des Himmels, was Aber - das? Auf den Seiten gegenüber, da stehlja ebenso sorgfältigge¬ auch noch Etwas — reiht, ebenso nett geschrieben. Barmherziger! Sie wird doch nicht etwa 2 er Und er blättert in wilder Hast glaubt nicht recht zu sehen — aber ja, da steht es, schwarz auf weiß: Die Einlagen — o ja, sie waren einst vorhanden, — einst. Ein Tausender! Bei Heller und Pfennig. Mehr, als Netti jemals angedeutet hatte. Aber heute stand die Sache anders. In der Zeit seiner Brautschaft mit Netti und so fort bis zum heutigen Tage war nichts mehr hinzuge¬ kommen, sondern im Gegentheil, all' die schönen Gelder waren nach und nach her¬ ausgeholt worden, fast bis auf den letzten Kreuzer.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2