54 Bei Gott, das sollte ein Ende haben! Und er schwor sich's in dieser Stunde, die Herausgabe des verhängnißvollen Buches unweigerlich zu verlangen. Er hatte dazu gewiß ein gutes Recht. Er mußte doch endlich erfahren, woran er war. Das Ganze konnte ja auch ein Schwindel sein. Wie wäre es, wenn sie in Wahrheit nichts besäße und, seinen Zorn fürchtend, all¬ jährlich eine Summe Geldes auf unrecht¬ — mäßige Weise erwürbe? Und wer wußte es, ob er seinen feinen Stadtpelz nicht gar der Gnade eines ehemaligen Ge¬ liebten seiner Frau verdankte? Sein Gehirn begann sich bei solchen Vorstellungen immer mehr zu erhitzen und er faßte den festen Entschluß, sich gleich heute Gewißheit zu verschaffen. Als er dann seiner Frau gegenüber¬ stand, spielte er sich gewaltig als den Herrn auf. „Du zeigst mir jetzt augen¬ blicklich das Büchel, verstehst Du“, don¬ nerte er sie an, „oder ich — denke Schlech¬ tes von Dir!“ So. Jetzt mußte sie wohl gehorchen. Doch zu seinem Erstaunen geschah nichts Dergleichen. Im Gegentheil. Frau Netti stellte sich vor eine Truhe, welche also wohl das Büchlein barg, und indem sie den kostbaren Schatz sozusagen mit ihrem Körper deckte, sagte sie ruhig: „O nein, mein Lieber“, und ihre kleine zier¬ liche Gestalt schien zu wachsen, während I ie fortfuhr: „Du hast arges Mißtrauen in Deiner Seele gegen mich aufkommen lassen, — das muß sich wieder von selbst zerstreuen, ohne daß ich etwas dazuthue ganz so, wie es Dir kam, ohne daß ich etwas verschuldet hätte.“ Dann wandte sie sich wieder zu ihren häuslichen Arbeiten, und ohne trotzig und mürrisch zu thun, sprach sie von anderen Dingen. Und Lorenz stand ganz verdutzt da. Jetzt war gar er es, der verlegen wurde! Er —! Und trotz seiner Größe und Bären¬ — haftigkeit fuhlte er sich seiner kleinen und für gewöhnlich recht schüchternen Frau gegenüber wie ein kleines Kind. So ging's also nicht. In ihrer Gegenwart würde er sich wohl niemals von dem Vorhandensein oder Nichtsein jenes unglückseligen Sparcassen¬ buches überzeugen können, das war klar. Da kam ihm ein Zufall zu Hilfe. Im Hause von Netti's ehemaliger Herr¬ chaft sollte eines Sonntags Abends eine Gesellschaft veranstaltet werden, zu wel¬ cher die Frau Zollamtsdirector der Dienste ihrer einstigen Köchin durchaus nicht ent¬ rathen konnte. Netti, sonst immer zu jeder Gefälligkeit bereit, zögerte gleichwohl, dem Rufe zu folgen. Es war ihr ersichtlich unangenehm, ihren Mann in den freien Sonntagnach¬ mittagsstunden allein zu Hause zu lassen. Sie hatte das auch bisher immer ver¬ mieden. Nun, heute ließ es sich leider nicht um¬ gehen, wenn sie gegen ihre frühere Herrin nicht undankbar sein, und — was sie noch mehr fürchtete! — wenn sie Lorenz durch ihre Weigerung nicht argwöhnisch machen wollte. So würde sie denn gehen. Aber nicht so freudig wie sonst, sondern schweren, kum¬ merahnenden Herzens. Erleichtert athmet er auf, wie ihre zier¬ lich trippelnden Schritte im Hausflur ver¬ klungen. So, jetzt ist er allein... jetzt kann es geschehen, das Unvermeidliche. Er schämt sich eigentlich vor sich selbst, es ist doch erbärmlich, so zu spioniren das Ge¬ — aber er kann nicht anders — fühl, das ihn treibt, ist stärker als alles Andere. Und so stellt er denn Netti's schwere, festverschlossene Wäschetruhe mitten ins Zimmer und dann beginnt er mit allen möglichen Werkzeugen die Beschläge ab¬ zureißen. Endlich läßt sich der Deckel heben. Peinlich nett stehen da die Wäschebündel gereiht, blendend weiß wie Schnee, zier¬ lich gebunden. Ein Duft von Rosen strömt daraus hervor. Es überfällt den Mann wie leise Rüh¬ rung. — All' das ist ihrer Hände Fleiß!
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