Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

46 wollten, welche sich auf die häufigen glück¬ lichen Ueberfälle der Osmanen bezogen! Zur Abnahme des Verhörs wurde der Auditor sofort zu seinem Commandeur entboten. Die beiden Deserteure, welche beim türkischen Verpflegsamte zu den gemeinsten Diensten verwendet und viel¬ ach mißhandelt worden, waren einer hnen drohenden Bastonade entflohen. Diese sagten nun übereinstimmend aus, fast jede Nacht erscheine die alte Zigeu¬ nerin Alzide beim Pascha und bringe stets sichere Kundschaft bezüglich des Ueberfalls, führe auch stets die Spahis bis auf eine gewisse Entfernung ans Piquet heran, wo sie sich dann schnell da¬ vonmache .... „Laßt sie sogleich verhaften!“ befahl der Obrist, und kurz darauf wurde die bereits aufgefangene und in Ketten gelegte Verbrecherin vor ihre Richter geführt, die, als sie die beiden Deserteure erblickte sofort ihre ganze Frechheit verlor und so wankte, daß sie von den derben Armen des Profoßen gefaßt werden mußte, um nicht zusammenzubrechen. „Alzide!“ redete sie der Auditor mit trengem Tone an, „wie Du siehst, bist Du endlich entlarvt! Längst hielt ich Dichfür die Verrätherin unserer Wachen und für E die Fuhrerin der türkischen Streifpartien, die uns so viele wackere Officiere und Mannschaften gekostet haben! Diese beiden Serben, die Dich gut und Du selbe augen¬ scheinlich kennst, was Dein Zittern beim Anblick derselben beweist, haben Deine schwere Schuld bestätigt. Woran Du bist iehst Du, und nur offenes, reumüthiges Bekenntniß kann Dir die Folterqualen er¬ sparen und Dir eine minder schmerzliche Todesart erwirken, die Du, wie Du Dir selbst gestehen mußt, tausendfach verdient hast ob Deiner Greuelthaten!“ Die große, knochenstarke Gestalt der Zigeunerin war, wie in sich gebrochen, zusammengesunken, und der Profoß hatte ie auf einen Feldstuhl setzen müssen. Der große, häßliche Kopf des Weibes, noch ab¬ schreckender durch das blutrothe, alte Seidentuch, das darum gewickelt war. sank ihr machtlos auf die Brust, als sie bei den furchtbaren Worten „Folter¬ qualen“ und „Todesstrafe“ heftig zusam¬ menfuhr. Sie schwieg; als aber ihr Inquisitor seine Frage wiederholte: „Muß ich Dich „peinlich“ befragen lassen?“ fuhr das durch Angst noch mehr entstellte Haupt der Cingarella in die Höhe und sie jam¬ merte, indem sie den Auditor mit weit aufgerissenen Augen anstarrte: „Er¬ barmen! Ew. Gnaden! Ach, Erbarmen! „Und hast Du mit den Hunderten von unschuldigen, tapferen Soldaten Erbar¬ men gehabt“, fuhr mitleidlos der erbitterte Beamte fort, „die Du den Türken zum Abschlachten um schnöden Sündenlohn überliefertest?“ und setzte mit mächtig hallender Stimme hinzu: „Hast Du Mit¬ gefühl gehabt mit meinem edlen Freunde, dem Rittmeister Baron Fortenbach, und o vielen anderen wackeren kaiserlichen Officieren?“ „Wie?!“ rief der vorsitzende Obrist, der nicht mehr an sich halten konnte, „dieses teuflische Weib hätte ....?!“ Alzide faltete flehend ihre mit schweren Ketten belasteten, gelben Knochenhände und rief wieder: „Erbarmen! Ich will Alles bekennen, nur foltert mich nicht, denn — diese schrecklichen Qualen habe ich schon einmal durchgemacht! Sie haben mir meine Jugendblüthe lang vor der Zeit gebrochen und ich wurde durch sie, was ich jetzt bin!“ Bei diesen Worten zitterte ihr ganzer Leib in den heftigsten Schauern! Wieder, aber in milderem Tone, er¬ mahnte sie der Auditor, getreulich wahr seine Fragen zu beantworten, und forschte dann eindringlich, wie es kam, daß sie so sicher die Ueberfalle der Osmanen leiten und alles darauf Bezügliche so genau habe erfahren können. „Bei meinem Marketendern“, antwortete die Zigeunerin, „sammelten sich stets um meinen Branntwein Gruppen von Unter¬ officieren und Soldaten aller Waffen¬ gattungen. Leicht erfuhr ich da Stärke,

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