Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

30 Meine Ehre wurde von ihr in den Schlamm der Verachtung getreten, damit sie ihre aufrecht erhalte!— O! war es denn möglich, daß dieses Gesicht die Hülle einer einzigen, wahrheitspottenden Lüge ausmachte?! — O! — wie sie wohl Beide „ gejauchzt haben über das gluckliche Gelin¬ gen ihres Planes! — Deshalb erhielt ich die reiche Försterei, darum verwendete er sich also angelegentlich für mich; deshalb die Eile von ihrer Seite zu unserer Ver¬ bindung?! — Ja, wahrlich, glücklicher konnte die Sache nicht ausgedacht, voll¬ ührt werden!“ „Aber“ — fuhr der Förster fort, in¬ dem er die rechte Hand zum Schwur gen Himmel streckte — „Rache will ich haben und muß ich haben. — Du dort oben hörst mich jetzt; Du weißt, wie schändlich ich verrathen wurde; Du wirst mir helfen, damit ich an Dir nicht verzweifle! Mögest Du mein vergessen bei meinem letzten Athemzuge, wo jede menschliche Hilfe in Nichts zerfällt — mögest Du mich unter tausendfachen Martern sterben lassen — mögest Du meine Seele von Deinem Throne für die Ewigkeit ver¬ toßen, wenn ich nicht diesen Frevel räche, wie er es verdient! Eine tiefe Stille trat nach diesen Wor¬ ten ein, während welcher der Förster nach¬ sinnend an die Decke gestarrt hatte. End¬ lich schien er zu einem Entschlusse gekom¬ men zu sein. Rasch schritt er gegen die Thür des Nebenzimmers, um zu seiner Frau zu gehen. Auf halbem Wege jedoch änderte er seinen Vorsatz. Er blieb stehen und legte wieder die Hand an die Stirn, aufs Neue brütend ob dem, was er zu thun habe. „Nein“, sagte er, „so geht es nicht; ich würde mich verrathen und meiner Rache nicht vollkommen genügen! — Wenn ich nur wüßte“ fuhr er dann nach einer Pause, zu sich selbst redend, fort, indem er die Nägel an den Fingern zerbiß, „wenn ich nur wüßte, wer von den Beiden die größte Schuld trägt! Doch gleichviel! Sie haben Beide gefrevelt, indem sie mein Vertrauen mit Betrug vergalten. Sie büßen daher Beide die Schuld! Verloren verloren sind rettungslos; und auch ich!“ fügte er dann dumpf hinzu— „ja, auch ich! —Meine Ehre ist dahin, jede Minute würde mich daran mahnen, ie ich in diesen Mauern zubringen müßte, und das ist mehrfacher Tod. — Nein, nein — wir alle Drei stehen in wenigen Tagen vor Gott, der sie und — mich richten möge! Als am anderen Tage Lindner wieder die ihm bekannte Weisung erhielt, aufs Schloß zu kommen, rief er seinen Bur¬ schen Robert und schritt mit ihm in den Forst. „Höre Robert“, fing er kalt und ruhig an, wie Jemand, der Alles, was er sagen will, reiflich überlegt und festgestellt hat. „Du kennst doch die beiden Wilddiebe, die unseren Gehegen so vielen Schaden zu¬ ügen?“ „Nein“, versetzte dieser, „ich kenne sie nicht“. „Das glaubst Du, aber Du kennst sie. Wenigstens den Einen; ich will Dir es gleich beweisen. — Sieh, dieser ist ganz ebenso groß und ganz von meiner Figur, hat schwarzes Haar und trägt gerade so einen Rock als der meine ist, ganz eben¬ solche Stiefeln und ebenso eine Mütze, wie die meine. Ich bin fest überzeugt, Du hast ihn oft gesehen, ja er ist Dir im Forste gewiß nicht selten auf zwanzig Schritte begegnet, und Du wurdest von seinem Aeußern getäuscht, indem Du ihn stets für mich ansahst. — Du siehst, wie schlau und trefflich er seine gleiche Größe mit der meinen, überhaupt die auffallende Aehnlichkeit zwischen uns zu benutzen wußte, wie glücklich sie ihm bisher zu tatten kam. Nun aber soll die Sache hof¬ fentlich ein Ende haben, wenn anders Du ein tüchtiger Schütze bist und Dich als mein Schüler bewährst. Ich habe nämlich — ganz zuverlässige Nachrichten, daß er und sein Geleitsmann heute Abend in der Dämmerung den Rehbock stehlen wollen, den Du gestern geschossen und der an un¬ serer Thür hängt. — Nun gib wohl Acht, was ich Dir sage: Du machst Dich, so¬

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