Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1903

18 ihre Hände vor das Gesicht, denn mit er¬ chütternder Gewalt ward ihr jetzt klar, daß das viele vom Wucherer genommene Geld verloren sei. Frau Kathi war von der bittersten Reue erfaßt und verlangte dringend nach ihrer Tochter, um vor dieser ihr übervolles Herz auszuschütten. Wie Vevi auf den Knien vor dem Bette der genesenden Mutter lag und mit herzlichem Danke für diese Schicksalswendung zu Gott betete, ging der ehrwürdige Geistliche leise aus der Stube.. Auf die schon golden gefärbten, wogen¬ den Aehren der Kornfelder lachte die Sonne herab und ihre Strahlen zitterten in der heißen Luft; auch im Garten blühte und prangte Alles in hochsommer¬ licher Pracht... Heute hatte Vevi in der Geisblattlaube festlich gedeckt, weißes Lin¬ nen und das geblumte Kaffeegeschirr aus dem großen Kasten in der „guten“ Stube genommen und aufgestellt, denn diesen Nachmittag wollte ihre Mutter zum ersten Male wieder nach jenem Schreckens¬ tag an die freie Luft. Sichtlich alt ge¬ worden, aber doch in stiller Herzensfreude, kam die Witwe, auf den Arm ihrer statt¬ lichen Tochter gestützt, herbei und ließ sich behaglich in dem grün dämmerndenküh¬ len Raum nieder. Bald fand sich auchder zu Gast gebetene würdige Pfarrer ein, der diese so herzlich an ihn ergangene Bitte nicht abschlagen gewollt. Frau Kathi nahm auch sofort Veranlassung, dem hoch¬ verehrten Geistlichen innig für all' seine Güte und Hilfe zu danken, doch dieser wehrte, mild lächelnd, sachte diesen Her¬ zenserguß ab und meinte: „Noch sei nicht Alles überstanden. Tief aufseufzend nickte ihm die Roßbergerin zu, der die bitteren Sorgen vor dem Wucherer wie ein Schreckgespenst stets vor den Augen standen. Plötzlich schlug Sultan, der auf der Gräd in der Sonne lag, laut an und sprang in großen Sätzen dem Hofeingang zu, wo sich die dürre, bucklige Gestalt des „Kravattelwürgers“ zeigte... Eilig lie Vevi dem wachsamen Haushund nach und konnte ihn eben noch rechtzeitig abhalten, ehe er den Wucherer packte. Doch nur widerstrebend ließ das kluge Thier von dem ihm so widerlichen Menschen ab, aber es folgte ihm knurrend auf Schritt und Tritt. Mit falscher süßer Freundlichkeit fragte der Unhold nach der Frau Hof¬ besitzerin, und schritt, voll Angst vor den scharfen Zähnen seines unbequemen Be¬ gleiters, sofort auf die Laube zu, die ihm das Mädchen gezeigt. Das gram= und eiddurchfurchte Gesicht der Witwe wurde erdfahl beim Anblick des Gütermarders der sich mit einem Scharrfuß, aber heim¬ lichem giftigen Blick auf den ihm bei seinem Vorhaben so unbequemen Pfarrer auf der einen Bank niederließ. Bebend vor Seelenangst suchte der Blick des armen Weibes das so hohes Vertrauen erweckende Auge des edlen Priesters, gleichsam um Hilfe und Rettung vor dem Wucherer bittend, der unablässig sein Opfer durch eine blauen Augengläser anblinzelte. So tiefe Stille war eingetreten, daß man die Käfer in der sonnendurchglühten Luft schwirren, Bienen und Hummeln surren und summen hörte und das Schril¬ len der Heuschrecken, wenn sie bei ihrem Sprunge die Flügel wetzten. Der „Kra¬ vattelwürger“ kümmerte sich gar nicht um die herrliche Fernsicht, die sich ihm von einem Sitze aus darbot, sein Blick suchte nur immer stechender Frau Kathi, und wie die Katze mit dem gefangenen Mäus¬ lein spielt, ehe sie das Thierchen auffrißt, so schien er sich an ihrer großen Unruhe und Angst zu erfreuen. Aber endlich mußte denn doch gesprochen werden. Mit üßer Freundlichkeit gab zuerst der Wuche¬ rer seiner Freude Ausdruck, die Bäuerin wieder ganz hergestellt zu sehen, dann fing er jedoch sofort zu jammern an, daß er durch die schlechten Zeiten gedrängt ei, leider alle seine Ausstände einziehenzu müssen. „Darum muß ich auch zu Euch kommen, Frau Kathi, wegen des Euch geliehenen Geldes, mit dem Ihr Euch ins Kloster habt einkaufen wollen. Ich brauche die Summe sofort, und da Ihr Euch nun nicht ins Stift eingezahlt habt, so werde ich wohl mein Geld gleich wieder

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