Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1902

Auch in Bulgarien gab es in der Berichts periode eine lebhafte Bewegung auf den Minister¬ fanteuils; doch verlohnt es sich nicht, die zahl¬ reichen Veränderungen im bulgarischen Mini¬ sterium zu registriren; die Ministerien sind dort zu Lande lauter Eintagsfliegen, die keinen Tag ihrer Existenz sicher sind. Dermalen regiert dort elbst das Ministerium Karaweloff. Die für den 28. October 1900 einberufene Sobranje wurde am 12. December wieder auf gelöst. Die auf den 11. Februar 1901 aus¬ geschriebenen Neuwahlen ergaben ein so kunter¬ buntes, eine stabile Majoritätsbildung schier unmöglich machendes Resultat, daß die Folge wieder eine Ministerkrise war. Die Einberufung der neuen Kammern erfolgte auf den 7. Märza. S April 1901 starb der gewesen Am 6. Ministerpräsident und Führer der bulgarischen Nationalpartei Dr. Constantin Stoiloff, an 8. Mai der gewesene Justizminister Slawejkofs und der gewesene Ministerpräsident Grekoff. Der Tod Stoiloff's bildete für Bulgarien einen schweren Verlust. * * * In der Berichtsperiode feierte man in Montenegro das 40jährige Regierungsjubiläun des Fürsten Nikolaus I. Er regiert seit 14. August 1860. Am 19. December (6. December griechischen Stils — dem Nikolai=Tage) nahm er aus diesem Anlaß den Titel „königliche Hoheit“ an. Afrika. Der Burenkrieg, am 11. October 1899 entbrannt, tobt noch un geschwächt in der Capcolonie und in den süd¬ afrikanischen Republiken. Drei Momente sind es, welche diesen Krieg und dessen Verlauf charak¬ terisiren: die Verlogenheit der englischen Kriegs¬ berichterstattung, die Unmenschlichkeit der eng¬ lischen Kriegsführung und der Umstand, daß die Engländer, trotz all ihrem Golde, trotz ihrer 10= bis 20fachen Uebermacht noch immer nicht dazu gelangt sind, das um seine Freiheit, seine Unabhängigkeit und sein gutes Recht kämpfende tapfere, den Deutschen stammverwandte Buren volk zu überwinden Die Engländer haben am 28. Mai 1900 die formelle Annexion der Oranje=Freistaaten und am 3. September jene Transvaals aus¬ gesprochen; als Krüger am 12. September au portugiesisches Gebiet übertrat, um von der Hafenstadt Lourenço=Marquez aus nach Europa zu fahren, dort einerseits Genesung für ein körperliches Leiden zu suchen und anderseits für sein Volk zu wirken, da erließ Lord Roberte eine stolze Proclamation an die Buren, worin er behauptete, daß Krüger die Sache der Buren verlasse, und daraufhin die Buren aufforderte, die Waffen zu strecken; am 13. Mai 1901 er¬ klärte Premierminister Lord Salisbury in einer 93 Londoner Banquetrede, daß England im Rechte ei, daß der Kampf in Südafrika das Ergebniß einer langen Verschwörung sei, daß England keine einzige Handlung begangen habe, die zu einem Vorwurf Anlaß geben könnte (vergl. den Einfall Jameson's); Tag für Tag sandten Roberts und Kitchener Bulletins über erfochtene Siege, in denen jeweilig so viele Buren getödtet, kampf¬ nfähig gemacht oder gefangen genommen wurden daß, wenn man all die Todten Gefangenen und Kampfunfähigen zusammenzählen würde, kein kampffähiger Bure mehr existiren würde. Trotz all dem aber und obschon die Engländer, zur Abschreckung, gefangene Buren in ungesunden Gegenden oder hygienisch verderblichen Schiffen internirten, wehrlose Frauen und Kinder ge¬ fangen nahmen und allen möglichen Entbehrungen aussetzten, friedliche Farmen nach Barbarenart einäscherten, vermögen heute noch die Engländer ich eines ruhigen Besitzes der südafrikanischen Republiken nicht zu erfreuen, trotzdem stehen die Buren noch in der Capcolonie, trotzdem ver¬ standen sie es, den Engländern noch in jüngster Zeit schwere Schlappen beizubringen (so im Juli 1900 bei Pretoria, im December am Magalies¬ berg und im Juni 1901 bei Kalkhoewel), Kanonen zu erbeuten (so bei Wilmannsrust im Juni 1904), von Engländern besetzte Orte wieder zu nehmen (so Bethlehem, Fourierburg, Senekal und Ladybrand im September 1900, Ficksburg im November 1900, Helvetia im December 1900 und Jamestown im Juni 1901) und die eng¬ lische Armee sammt ihrem Commandanten Lord Kitchener (welcher nach Lord Roberts Ernennung zum Oberbefehlshaber der britischen Armee und nachdem dieser — wie schon früher am 12. Oc¬ — tober 1900 der „stets siegreiche“ Buller am 11. December Südafrika verlassen, die Leitung der englischen Operationen in Südafrika über¬ nahm) stets in Athem zu halten. Daßübrigens die Sympathien der gesammten civilisirten Welt, mit Ausnahme natürlich Eng¬ lands, auf Seite der Buren stehen, beweist der festliche und herzliche Empfang, der Krüger auf einer Europareise, so in Frankreich, das er am 22. November in Marseille betrat, in Belgien in Holland und in Deutschland bereitet wurde, und die Mißstimmung, die es in Deutschland hervorrief, als man erfuhr, daß Kaiser Wilhelm einerseits den Empfang Krüger's abgelehnt und anderseits Lord Roberts den Schwarzen Adler¬ Orden verliehen habe. Daß aber auch in Gro߬ britannien — ganz abgesehen von den Irländern eine starke Strömung gegen die englische Chamberlain=Action in Südafrika herrsche, dies bekundet die am 19. Juni 1901 in London unter Labouchere's Vorsitz abgehaltene Protest¬ versammlung, die eine Resolution beschloß, durch welche die Regierung zur Einstellung der Feind¬ seligkeiten und zur Gewährung der Unab¬ hängigkeit der Buren=Republiken aufgefordert wird.

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