Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1902

Azcarraga an die Spitze der Regierungs¬ geschäfte zu berufen. Dieser bot seinerseits wieder am 26. Februar 1901 — nachdem schon An angs Jänner eine partielle Ministerkrise ein¬ — die Demission des Gesammt getreten war cabinets an und nachdem weder eine Recon¬ truction dieses Cabinets, noch die Bildung eines Cabinets Villaverde gelingen wollte, sah sich die Königin=Regentin genöthigt, an den Führer der Liberalen, Sagasta, zu appelliren und denselben mit der Mission der Cabinets¬ bildung zu betrauen. Sagasta nahm diese Mission an und das neue liberale Cabinet Sagasta war bereits am 6. März in folgender Weisc gebildet: Präsidium: Sagasta; Aeußeres Krieg: Almodovar; Finanzen: Urzaiz; Weyler; Inneres: Moret: Marine: Vera gua; öffentliche Arbeiten: Villanueva; Unter¬ richt: Romanones; Justiz: Marquis Te¬ verga. Die erste That des neuen Ministeriums war, wie gesagt, die Aufhebung des Ausnahms¬ zustandes; als zweite kam die Auflösung der Cortes welcher dann im April die Aus¬ chreibung der Neuwahlen für den Monat Mai owie die Einberufung der beiden Kammern ür den Monat Juni folgte. Die Wahlen in die Deputirtenkammer er¬ gaben: 244 Liberale, 81 Conservative, 12 An¬ hänger des Herzogs von Tetuan, 16 Republi¬ kaner, 13 Anhänger Gamazo's, 14 Romero's und 22 Angehörige anderer Gruppen; die Wahlen in den Senat dagegen (inclusive der tändigen Mitglieder) 163 Liberale, 112 Con¬ ervative, 24 Parteigänger des Herzogs von Tetuan, 10 Unabhängige, 4 unabhängige Libe¬ rale, 7 Anhänger Gamazo's, 3 Demokraten, 2 Carlisten, 2 Anhänger Romero's 2 Repu blikaner, 2 Mitglieder der nationalen Union und 2 Wilde. Die neugewählten Kammern wurden am 11. Juni 1901 eröffnet. Infolge eines in Barcelona Anfangs Mai 1901 ausgebrochenen, von Anarchisten unter¬ tützten Streiks der Tramwaybediensteten sal sich die Regierung genöthigt, am 8. Mai über Barcelona den Belagerungszustand zu verhängen Außer den sonstigen schwierigen inner politischen Verhältnissen Spaniens bereitete der Regierung die immer stärker im Lande auf¬ tretende anticlericale Bewegung schwere Sorgen Bereits im Februar 1901 hatte diese Bewegung zu lebhaften Demonstrationen in Madrid, Valencia, Granada 2c. geführt: Mönchsklöster Priester¬ wurden mit Petroleum begossen, seminare und einige Klöster mit Steinen be¬ worfen, Priester auf offener Straße beschimpft, weshalb über die Provinz Valencia und über Madrid der Belagerungszustand verhängt wurde. Zu diesen Demonstrationen hatten nicht wenig auch die im December bekannt gewordene Verlobung des Grafen Carlos von Caserta mit der Prinzessin von Asturien, der ältesten 89 Schwester des erst 15jährigen Königs, und die am 14. Februar 1904 in Madrid stattgefundene Trauung dieses Brautpaares beigetragen. Man durch die Vermählung der hatte gehofft, Schwester des Königs mit dem Sohne eines der kühnsten und energischesten Bourbonen, der in früheren carlistischen Aufständen mit aller Leidenschaft gegen die herrschende spanische Dynastie gewühlt und auch auf dem Schlacht¬ feld gekämpft hatte, den Carlismus ins Herz zu treffen und Beruhigung im Lande zu schaffen dabei aber nicht mit den Leidenschaften des Volkes gerechnet und so mußte die Trauung unter dem Zeichen des Aufruhres vor sich gehen Und die einmal begonnenen anticlericalen Demonstrationen fanden kein Ende mehr; bald hier, bald dort kam es in Spanien zu An¬ griffen auf Klöster und Kirchen, und die im Juni abgehaltenen sogenannten Jubiläums¬ processionen gaben in vielen Städten Spaniens zu lebhaften, oft auch blutigen Zusammenstößen zwischen Anticlericalen und Clericalen Veran¬ lassung. In Norena und St. Juan wurden Kirchen eingeäschert und in Saragossa mußten der aufgeregten Menge gegenüber das Kloster die meisten Kirchen geschlossen werden und Ende August 4900 starb General Mar¬ tinez Campos; er spielte im politischen Leben Spaniens wiederholt eine bedeutende Rolle und rief 1874 Alfons XII. zum Könige aus. Vortugal. Gleichwie in Spanien, nahmen auch in Portugal die anticlericalen Demonstrationen höchst bedrohliche Dimensionen an. Im Monate Februar 4901 kam es in Oporto und anderen Städten des Reiches zu blutigen Conflicten, ebenso im März in Setubal und anderen Orten. Die Regierung sah sich, um zur Beru¬ higung der erregten Bevölkerung beizutragen genöthigt, zor Schließung mehrerer Kirchen in Lissabon, Counto, Cocujaes u. s. f. und zur Auf¬ lösung mehrerer Klöster zu schreiten. Am 5. Juni 1901 wurden durch königliches Decret die Cortes aufgelöst und die Neuwahlen für den Monat October festgesetzt. Die neuen Cortes sollen am 2. Jänner 1902 zusammen¬ treten. Belgien. In der belgischen Kammer kam es am 17. Mai 1901 zu einem sensationellen Zwischen¬ falle. Die clericale Kammermehrheit beantragte eine Resolution zu Gunsten der Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes, worauf die ganze Linke einen ungeheuren Lärm erhob. Von den Bänken der Radicalen und Socialisten erschollen beleidigende Rufe gegen den Papst. Auch rief man: „Los von Rom!“ Die liberalen Abgeordneten verließen den Saal, während sämmtliche 33 socialistische Deputirte im Chor

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