weniger mußte er ihre Verdienste um sein Haus anerkennen. Sie war ein Mädchen, dessen Klugheit und Energie gepaart mit frommem Sinn, an welch letzterem bezüglich der Echtheit zu zweifeln er keinen Grund hatte, ihm unwill¬ kürlich Respect abnöthigten. Heute war Lieschens vierter Geburts¬ tag und Monie wollte sie aus Anlaß desselben zum ersten Mal zur Kirche führen. Ein neues kirschrothes Kleidchen sic hing zu diesem Zwecke schon für bereit, dazu weiße Strümpfe, von Monie selbst gestrickt, ein seidenes Tuch um den Kopf und feine Lederstiefelchen. Das Kind klaschte in die Hände vor Freude und konnte es kaum erwarten, sich im Staat zu sehen. Der Müller, welcher am Tische saß, blickte über seine Zeitung hinweg auf Monie, die sich in ihren mütterlichen Eifer heute besonders hübsch ausnahm, was er sich nicht verhehlen konnte. Ein eigenthümlich gespannter, ab¬ seine wehrender Zug legte sich dabei um Mundwinkel; er sah aus wie Einer, der mit einem ihm gemachten Vorschlag durchaus nicht einverstanden ist. „So, Vater, jetzt schau mi' an Gelt, i bin schön?“ Mit diesen Worten flog Lieschen plötzlich herbei und ließ sich in kindlicher Gefallsucht von ihm an stannen. Er hob sie auf sein Knie und küßte das rosige Gesichtchen herzhaft ab was aber der Kleinen nichts weniger als angenehm zu sein schien, denn ihm rasch entschlüpfend, rief sie: „J krieg' an Bart, oweh, i krieg an Bart! „Wer sagt Dir das?“ fragte der Müller belustigt. „Die Verena! Der Fritz hätt' ihr's gestern auch so g'macht, aber sieis davong'laufa. Sie hat g'sagt, sie krieget sunst an' Bart.“ Fritz war der erste Mühlbursche, ein ziemlich ernster junger Mann, von dem man solch eine Kußattaque am wenigsten erwartet hätte. Monie schüttelte darum auch in sittlicher Entrüstung den Kopf und sagte: 5 „Es ist frei aus, wie 's die Leut reib'n, wenn man a Stund lang net auf sie siahgt. Die Verena wird aber auch seit a g’wiss'n Zeit so — so — Sie beugte sich erröthend zu Lieschen nieder, um ihr das Tuch um den Kopf zu schlingen. „Was is 's mit der Verena?“ fragte der Müller, indem er die Zeitung fort¬ legte und sich erhob. „Die Verena muß mi' auch anschau', wie sauber daß i bin!“ rief Lieschen eifrig und wollte schon zur Thüre hinaus, da kam ihr der Vater zuvor. „Bleib da, Lieserl, i hol' sie selber, dieVerena. Er ging durch den Hof in den Garten und von dort um das Mühlenwerk herum, ohne jedoch die Gesuchte zu finden. Dann begab er sich auf den Mahlboden und hier fand er sie auch vor einem der Gänge stehend, welche in gerader Reihe aufgerichtet waren. Ein Mühlknecht war mit dem Abtragen voller Säcke beschäftigt, der Bursche Fritz aber stand neben Verena und sprach eifrig auf sie ein. Das Sausen des Wassers und das Geklapper der Räder machte es dem Müller unmöglich, ein Wort zu erlauschen. Doch sah er, wie Verena's Wangen sich höher und höher ärbten und wie sie sich schließlich mit heftigem Kopfschütteln von Fritz ab¬ wandte. Einen Zuber mit Mehl aufneh¬ mend, wollte sie sich durch eine kleine, ins Freie führende Thür entfernen, da rief der Müller ihr zu: „Verena, Du sollst zum Dirndl abi¬ geh'n.“ Augenblicklich war sie an seiner Seite und blickte ihn fragend an. Doch er wies ungeduldig vor sich und folgte der Forteilenden mit langsamen Schritten. Fünf Minuten später trat er wieder in die Stube, in welcher sich jetzt Verena nur mehr allein befand, da Monie mit dem Kinde das Haus bereits verlassen hatte. Sie hielt den Kopf über eine Näh¬ arbeit gebeugt und die blonden Locken um Stirn und Schläfen hingen so tief
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