Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

102 III. Frau Thekla begann nun „aufzu¬ räumen“, und nachdem ihr Gatte heute tagsüber nicht nach Hause kam, beschloß sie, diese lange Abwesenheit ihres Mannes zu benützen und, ungehindert von ihm, im Hause allgemeinen Kehraus zu halten. Sie rief die Magd herein und beide be¬ sprachen die Reihenfolge der Arbeiten und machten sich vorerst an's Fenster¬ putzen. Wie sie da so eifrig hantierten und dabei ab und zu einen Blick auf das Sträßlein thaten, hielt die Magd plötzlich in der Arbeit inne und rief ganz erstaunt und entsetzt die Hände zusammen¬ chlagend: „Ei, Frau Thekla, dort kommt der Meister schon wieder heim — nein, oh, Himmel, ich seh’ ihn ja doppelt? Was ist das doch für ein Truggesicht am hellen Tag? „Was redest Du denn da für närrisches Zeug?“ fragte die Klingenschmiedin, die Magd verwundert ansehend, „Meister Truggesicht, was heißt das? „Weiß ich was es ist“ sagte die „seht Magd nach der Straße deutend, doch dort hin — der Meister wie er leibt und lebt, aber verdoppelt!“ Jetzt bemerkte auch Frau Thekla, dass zwei bucklige, sehr zerlumpt aus¬ sehende und ihrem Gatten auf ein Haar ähnliche Männer sich dem Hause näher¬ ten, und erinnerte sich an ihres Mannes Worte. Sie wollte rasch zum Thore eilen und dieses versperren es war aber chon zu spät, denn sie traf in der Haus¬ lur bereits die zwei Buckligen, die sie scharf ansahen, dann einen Blick auf die eben aus der Thür tretende Magd warfen und plötzlich mit vielen Bücklingen und tiefem Hüteschwenken vor Frau Thekla stehen blieben und gleichzeitig zu sprechen begannen: „Ei, welches Glück, welche Ehre wahrscheinlich die Frau Schwägerin solch freilich, kann nicht anders sein — ein Glückspilz, unser Herr Bruder die unsere ehrerbietige Begrüßung Frau Schwägerin kennen zu lernen, freut uns! So klang es hastig hervorgesprudelt so daß Frau Thekla durcheinander, gar nicht zu Worte kam und die Zwei nur mustern konnte. Ihr Groll gegen die Schwäger schwand bei dieser Be¬ thätigung der Neugierde gar schnell da¬ hin und Mitleid bemächtigte sich ihrer, denn die zwei Männer sahen, wenn auch grad nicht in den Gesichtern, so herabgekommen, zerlumpt und arm aus, aß man es ihnen ansah, sie hätten lange Zeit nicht im Wohlleben ver¬ bracht. Geht, geht nur wieder“, sagte end¬ lich Frau Thekla, sich zum Strengsein fast zwingend, „solche saubere Schwäger kann ich hier nicht brauchen, und mein Mann leid't Euch auch nicht hier — ver¬ dient auch gar nicht, einen so wackeren Bruder zu haben. „Verläumdung, Frau Schwägerin“ sagte der eine, „nichts als Verläumdung, der Caspar ist uns immer neidig ge¬ wesen! Wir bitten auch weiter um nichts, als etwas zu essen und trinken und um ein rechtschaffen Gewand!“ „Freilich wohl“, stimmte der andere bei, „jetzt weiß doch jeder in der Stadt wer wir sind, und in dem Aufzug, so wir uns befinden, machen wir dem geizigen Caspar und der reichen Frau Schwägerin wohl keine sonderliche Ehr' „Da habt Ihr Recht“, meinte Frau Thekla schnippisch und wunderte sich baß über die fabelhafte Aehnlichkeit in Ge¬ talt, Aussehen, der Sprache und Be¬ wegungen, welche die zwei Brüder hier mit ihrem Gatten hatten, eine Aehnlich¬ keit zum Verwechseln, „aber obwohl Ihr keine sonderliche Rücksicht verdient habt, ollt Ihr doch nicht wie Bettler abge¬ wiesen werden. Speis' und Trank sollt Ihr haben, und auch Kleider von meinem Caspar, dann trollt Euch aber nur wieder ein von dannen, Freundschaft schließen wir nicht! Und sich zur Magd wendend, sagte sie: „Crescenz, führ' die Zwei da in die hintere Stube und setz' ihnen was herz¬ haftes als Imbiß vor — will derweil

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2