Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

80 des Innern ernannt. Die beiden Neuernannten sind ebenso conservative Männer wie ihre Vor¬ er im Amte. gän Das preußische Abgeordnetenhaus lehnte am 19. August 1899 die sogenannte Canalvorlage (Mittellandeanal 2c.) vollständig ab; diese Ent¬ scheidung führte die Maßregelung einer Reihe von Beamten, welche als Abgeordnete gegen die Vor¬ lage gestimmt hatten, und in weiterer Folge die vorerwähnte Ministerenthebung herbei Die am 23. Juni 1898 erfolgte Wahl Kirsch¬ ner's zum Oberbürgermeister von Berlin hat im Laufe der Berichtsperiode endlich die kaiser¬ Bestätigung erfahren. liche In der zweiten Hälfte des Monats Mai brach in Berlin ein Tramway=Strike aus, welcher am 19. und 20. Mai zu schweren Excessen führte, glücklicherweise aber nur wenige Tage dauerte 2 Todte und 100 Verwundete waren die blutigen Opfer der Excesse. Am 16. August 1899 verschied in Heidel¬ berg der große deutsche Chemiker und Physiker Professor Richard Bunzen an Altersschwäche. Er war am 31. März 1811 zu Göttingen geboren worden. — Am 16. Juni 1900 starb in Oberammergau der am 14. December 1833 ebendort geborene Oberammergauer Bürger¬ meister Johann Lang, der langjährige Regisseur der Oberammergauer Passionsspiele, der Mann, der es verstanden hat, die Bedeutung und die Würde dieser Passionsspiele auf ihrer höchsten Höhe zu erhalten. Italien. Am 29. October 1899 veröffentlichte das italienische Amtsblatt ein königliches Decret, womit das Parlament auf den 14. November 1899 einberufen wurde. Dies war der erste Schritt, welchen das Ministerium Pelloux Visconti=Venosta auf dem Wege unternahm der nach seiner Anschauung zur Bewältigung der oppositionellen Obstruction führen sollte, der aber in Wirklichkeit nur den Beweis erbrachte daß der Sieg der Regierung am 28. Juni 1899 nur ein Pyrrhussieg war. Als das herrschte wohl Parlament zusammentrat2 anfänglich eine Art Waffenstillstand, sobald aber die Verhandlungen über das am 28. Juni 1899 einer Commission zugewiesene könig¬ liche Decret im Plenum begannen, setzte die Obstruction mit neuer Macht ein, und nahm chließlich, gereizt durch einige antiobstructio¬ nistische Anträge, einen, alle parlamentarische Ver¬ handlung unmöglich machenden Charakter an Ein parlamentarischer Scandal folgte dem andern am 30. März 1900 kam es zu wörtlichen und thät¬ lichen Angriffen auf den Präsidenten Colombo. Nun entschlossen sich Regierung und Majorität zu einer Art parlamentarischen Staatsstreich rasch einigten sie sich über eine zur Bändigung der Obstruction vorgeschlagene Abänderung der Geschäftsordnung, welche in der Sitzung vom 3. April 1900, nachdem die Opposition einen geharnischten Protest erhoben, und hierauf, um Thätlichkeiten zu vermeiden, den Saal verlassen hatte, von der zurückgebliebenen Majorität der Deputirtenkammer ohneweiters angenommen vurde, worauf das Haus sich auf den 15. Mai 1900 vertagte. Die Folgen dieses Vorgehens ollten aber nicht ausbleiben. Als am 15. Mai die Deputirtenkammer wieder zusammentrat, ge¬ lang es der äußersten Linken, unter der Er¬ klärung, sie werde sich der Anwendung der neuen Geschäftsordnung selbst mit Gewalt wider¬ etzen und unter Activirung der heftigsten Ob¬ — sie sang u. A. unter Mit¬ structionsmittel wirkung der Gallerie die Garibaldi=Hymne die kaum eröffnete Sitzung wieder zu sprengen, worauf die Regierung mit der Auflösung der Kammer antwortete. Die Neuwahlen wurden auf den 3., die Stichwahlen auf den 10. Juni angeordnet, und sollte die neugewählte Kammer am 16. Juni zusammentreten. Die Wahlen er¬ gaben scheinbar einen Sieg der Regierung, denn ihre Majorität war kaum geschwächt worden; als schlimmes Anzeichen konnte es aber ange¬ ehen werden, daß die eigentliche Obstructions¬ partei, die äußerste Linke, u. zw. auf Kosten der sogenannten constitutionellen Opposition (Rudini=Giolitti), eine nicht unansehnliche Verstärkung erhielt; sie wuchs von 69 auf 93 Mann. Als es nach dem Zusammentritte der neuen Kammer zur Wahl des Präsidenten kam zeigte es sich bald, wie wenig verläßlich auch die neue ministerielle Majorität war. Der Can¬ didat der Regierung für diesen Posten, Depu¬ tirter Gallo, erhielt nämlich keineswegs alle Stimmen der sogenannten Majorität, die schon aus den Hauptwahlen mit 284 Mann hervor¬ gegangen war. Er wurde nämlich nur mit 242 Stimmen gewählt, während auf den Candidaten der Oppositionsparteien, Biancheri, 214 Stim¬ men entfielen. Bei diesem Stande der Dinge zog es das Ministerium Pelloux vor, am 18. Juni seine Demission zu überreichen, welche der König auch annahm, indem er gleichzeitig den Senator nachdem Gallo abgelehnt — Saracco mit der Bildung des Cabinets be¬ traute. Unterdessen unterhandelte der Kammer¬ präsident Gallo mit der Oppositon wegen der Geschäftsordnungsfrage, und diese Verhand¬ wenigstens vorläufig —zu lungen führten — einer Einigung. Am 24. Juni war das neue Cabinet Saracco vom Könige genehmigt, und als sich dasselbe am 27. Juni der nach der Demission des Ministeriums Pelloux vertagten und an diesem Tage wieder zusammengetretenen Kammer vorstellte, fand es allseitige freundliche Aufnahme. Die vom Ministerpräsidenten zu Beginn der Sitzung verlesene Erklärung bekundete aber auch klar die Absicht, die Kammer zu versöhnen. An Stelle des als Unterrichtsminister in das Cabi¬ net berufenen Gallo wurde der neue Regierungs¬ candidat Villa zum Kammerpräsidenten gewählt.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2