Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

78 Am 6. Mai 1900 fand in der Berliner Schloßcapelle der feierliche Act der Großjährig¬ keitserklärung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm in Anwesenheit zahlreicher fürstlicher Persönlich. keiten und in besonders festlicher Weise statt. Auch Kaiser Franz Joseph I. war zu diesem Familienfeste des hohenzollern'schen Hauses nach Berlin gekommen, festlich empfangen von seinem kaiserlichen Freunde und Verbündeten, um¬ jubelt von der Bevölkerung Berlins. Bei diesem Anlasse ernannte Kaiser Franz Joseph I. den Kaiser Wilhelm zum General=Feldmarschall der österreichisch=ungarischen Armee. —Am 1. Mai 1900 fand in München die Trauung der Prin¬ zessin Mathilde von Bayern mit dem Prinzen Ludwig von Sachsen=Coburg=Gotha statt. — Am 13. Juni starb in seiner Sommerresidenz Rastede Michael v. Großherzog Nikolaus Friedrich Peter von Olden= urg im Alter von fast 73 Jahren — er war am 8. Juli 1827 in Oldenburg geboren und im Jahre 1853 zur Regierung gelangt. Er hat sich durch nationale Gesinnung und aufrichtige Liebe zu seinem Volke ausgezeichnet und war ein auf richtig freiheitlich denkender und regierender Fürst. Am 1. Jänner 1900 trat das neue deutsche bürgerliche Gesetzbuch und mit ihm zugleich auch die neue Civilproceßordnung in Kraft. Eine am 25. Jänner 1900 dem deutschen Reichstage zugegangene Novelle zum Flotten gesetz forderte eine zweite Schlachtflotte von der¬ selben Stärke wie die erste, ferner die Vermeh¬ rung der Auslandsschiffe um mehrere Kreuzer Die Bereitstellung der nöthigen Mittel sollte all¬ jährlich durch den Etat erfolgen. Am 12. Juni nlahm der Reichstag die Flottenvorlage wohl uinter dem Eindrucke der Ereignisse in Süd¬ Afrika und China mit 201 gegen 103 Stimmen an. Bedeutet dieser Beschluß noch keineswegs eine Realisirung des ganzen großartigen Planes, mit dem die Reichsregierung ursprünglich vor den Reichstag trat, so darf darin doch ein erster Schritt zur Realisirung dieses Planes erblickt verden, welcher geeignet ist, die deutsche See¬ nacht bis zur Größe und Vollkommenheit der deutschen Landmacht zu entwickeln. Langwierige Verhandlungen rief im deut¬ schen Reichstage die sogenannte Lex Heinze, ein Gesetzentwurf gegen die Unsittlichkeit, hervor und insbesondere richtete sich die Opposition gegen deren Kunst= und Theaterparagraphe. Munkacsy 7. Der Kunstparagraph verhängt gegen Jenen, der Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, an Personen unter 18 Jahren verkauft, oder solche Darstellungen, die das Schamgefühl verletzen, in Aergerniß erregender Weise öffent¬ lich ausstellt, Gefängnißstrafen bis zu sechs Monaten oder Geldstrafen bis zu 600 Mk. Der Theaterparagraph fordert eine strafrechtliche Verfolgung der Theaterdirectoren, wenn sie unsittliche Darstellungen bieten. Diese Bestim¬ mungen, welche besonders in ihrer vagen Fas¬ ung eine förmliche Unterbindung der Kunst in ihrem Lebensnerv bedeuteten, da sie das Urtheil über Kunstproducte und deren Sittlichkeit in erster Reihe geradezu untergeordneten polizei¬

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