Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

60 Noth erweckt oftmals Eines in der — die im Getriebe des Menschenbrust Alltagslebens verloren gegangene Gabe seine Anliegen vor den Thron des Allerhöchsten zu bringen. Als Clara sich ganz allein fühlte in dem ersten großen Schmerz, der sie traf and auch sie kindliche Worte des Flehens, welche ihr Ruhe und die Kraft brachten aufrecht zu bleiben während der bangen Stunden, die jetzt folgten. Die ganze folgende Nacht lag die Mutter in wilden Fieberdelirien, die der Tochter kund thaten, wie sehr sich das treue Mutterherz ihretwegen abgesorgt und geängstigt hatte. Die Mutter war meist äußerlich so ruhig gewesen und zeigte nur wenig, was sie fühlte jetzt erst verstand Clara, zu welchen Sorgen sie Veranlassung gegeben. Sie blieb unermüdlich in der Pflege und wollte nichts davon hören, daß der Vater eine Wärterin beschaffe, die sie ablösen sollte. Die Nacht verging ohne Wendung zum Besseren undschon dämmerte der Morgen herauf. Es begann sich draußen zu regen; leise zwitschernd unterhielten sich einige Vögelchen mit einander, die ihre Nester unter dem vor¬ springenden Dache gebaut hatten, als die Kranke die müden Augen schloß und in einen unruhigen Schlummer verfiel. Doch allmälig, ganz allmälig wurden die Athemzüge der Kranken ruhiger und endlich schien es ein erquickender Schlaf zu sein, in welchen sie gefallen war. Sollte sich die Krisis eingestellt haben welche der Arzt für möglich gehalten hatte? Kaum wagte Clara zu hoffen Und doch war dem so! Die Mutter ollte den Ihrigen erhalten bleiben, wenn¬ gleich noch viele Tage vergehen mußten ehe sie wieder zu den Gesunden zählte. Clara fühlte sich Allem gewachsen; sie schaltete und waltete gleich einem er¬ fahrenen Hausmütterchen und war rührend in der Sorge um die Mutter. „Wie hast Du nur Alles so schnell gelernt?“ fragte diese, nachdem sie ein Kraftsüppchen gekostet, das ihr Clara an das Bett gebracht. „Vom Kochen hast Du doch nie etwas wissen wollen? „Ja, Mutterl,“ meinte Clara in zärt¬ lichem Tone, „für das, was ich unter Fremden gelernt, hab' ich auch gehörig Lehrgeld bezahlen müssen. Wollt' Dir ja schon längst Alles erzählen, was mir passirt ist, doch während das böse Fieber da war, hab' ich es nicht wagen dürfen Jetzt aber wirst Du wohl Alles hören wollen? Die Mutter nickte zustimmend und Clara erzählte ihre Erlebnisse vom Anfang bis zum Ende. Das Gesicht der Frau, welche auf¬ merksam auf jedes Wort lauschte, nahm einen mehr und mehr zufriedenen Aus¬ druck an. Es lag doch ein guter Kern zu einem tüchtigen Menschenkind in ihrem Mädchen! Durch ihr thörichtes Verlangen war sie mitten in Verhältnisse hinein¬ gekommen, in denen es selbst für eine erfahrene Person nicht leicht gewesen, sich zurechtzufinden; für ein einfaches Kind vom Lande mußten sie geradezu wie ein böhmisches Dorf sein! Und doch hatte das Kind die Flinte nicht feige ins Korn geworfen, wie viele Andere, die nicht pariren gelernt haben, sondern um jede Schwierigkeit einen Bogen herum machen, oder sich derselben durch die Flucht ent¬ ziehen Zuletzt zog Clara mit einer gewissen Befriedigung einen Brief aus der Tasche, den sie schon vor einigen Tagen erhalten und der also lautete: „Liebes Fräulein! Zu meinem Bedauern habe ich jetzt erst von meinem Sohne den richtigen Sachverhalt erfahren können bezüglich eines Vorfalles, der Ihnen mein Haus verschloß. Ich weiß nun, daß er die Verse, welche die Ursache von so vielem Verdruß geworden, erst in Ihren Korb. legte, als er Sie, einem Rufe aus dem Hause folgend, dorthin gehen sah. Sie konnten somit von dem Inhalte keine Kenntniß gehabt haben, und ich bedaure aufrichtig, was in der Folge vorgefallen

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