Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

8 sonst im trüben Morgenlicht des wolken verhangenen Himmels zaghaft dort drüber stehen? Sie nickt ihm freundlich zu, ehe sie sich eiligst nach ihrem Gepäck umsieht. Als sie mit demselben athemlos anlangt begrüßt sie den jungen Mann mit ziem¬ licher Unbefangenheit. Er seinerseits erklärte, er habe ihrem Vater angeboten, statt seiner hereinzu¬ fahren, damit er die Mutter nicht zu verlassen brauche. Sie liege schwer krank an einer Lungenentzündung darnieder. Dieser sachliche Bericht, der des Mädchens schmerzliche Ahnungen bestätigte, half Johann über die Verlegenheit hinweg, die auf seinen offenen Zügen deutlich zu lesen gewesen. Die Fahrt ging so rasch vor sich, als es sich der vor das Wägelchen gespannt Braune gefallen ließ, den der Führen nicht gewillt war, zu schonen. Und doch schien es Clara endlos, bis der Wagen endlich vor dem Häuschen mit den grünen Läden stille stand. Hinter der Hausthüre guckten neu¬ gierige Kindergesichter hervor, für welch die Schwester „aus der Stadt“ eine Art Respectsperson war. Gott sei Dank! sagte sich Clara, sie war nicht zu spät gekommen. Die Ge¬ sichter der Geschwister verriethen keine Trauer, sondern nur Neugier und ihr verwahrlostes Aeußere zeigte, daß der Mutter Hand und Auge fehlte. Schwer athmend lag die Kranke im hohen Fieber da; aber als Clara eintrat, pielte ein Lächeln um ihren Mund. Wie übernächtig sah der Vater aus, der die ganze Nacht auf gewesen und jetzt froh war, sich ein paar Stunden Ruhe gönnen zu dürfen. Clara erkannte trotz ihrer Unerfahren¬ heit in Krankheiten, wie schwer krank die Mutter sein mußte und mit banger Un¬ geduld sah sie der Ankunft des Arztes, der vom Städtchen herauskam, entgegen. Ungeachtet allem Angstgefühl war sie glücklich, daß sie der Mutter die vielerlei kleinen Dienste leisten konnte, für welcht es einer männlichen Hand unzweifelhaft 59 am richtigen Geschick gefehlt hatte. Der zufriedene Blick der Mutter, als sie ihr die heißen Kissen zurecht schüttelte, war eine Freude und ein Vorwurf zugleich. Warum auch hatte sie die Mutter ragte sie sich immer wieder—unter der Last eines großen Haushaltes und der vielen Arbeit, welche das Geschäft mit sich brachte, verlassen? War das Herbe, das ihr draußen zugestoßen, nicht unendlich schwerer zu ertragen gewesen als der gerechte Tadel einer Mutter! Manchen ist es nicht gegeben, ihr Unrecht klar vor sich zu sehen; doch Clara war zu klug dafür und die Eigen¬ liebe trübte ihr nicht wie früher den Blick. Endlich, nachdem eben schwere Athem¬ noth bei der Kranken eingetreten, kam der Doctor. Sein Gesicht nahm nach der Untersuchung einen bedenklichen Ausdruck an und als ihm Clara auf=der Hausflur olgte, sagte er zögernd, es stehe schlimm um die Kranke und wenn nicht in der heutigen Nacht oder am morgigen Tage eine kleine Wendung zum Besseren ein¬ trete, dann wäre allerdings die Hoffnung auf Genesung eine geringe. Unaufhaltsam stürzten bei diesen Worten dem Mädchen die Thränen aus den Augen und mit Gewalt drängte sic das Schluchzen zurück, das ihr die Brust zersprengen wollte, denn mahnend hatte der Arzt den Finger erhoben; „Ruhe braucht die Mutter vor Allem, Kind! agte er: „jede Aufregung steigert das Fieber!“ Nachdem der Einspänner des Doctors chon längst weitergerollt war, stand Clara noch im Flur, um ihrer Bewegung ganz Herr zu werden, ehe sie das Kranken¬ zimmer wieder betrat. Zuerst aber mußte ie wohl den Vater von dem bedenklichen Zustande der Mutter unterrichten. Wie ie jedoch die Thüre der Wohnstube öffnete, fand sie ihn auf dem harten, alten Sopha fest eingeschlafen. Leise zog sie die Thüre wieder zu. Alles schien ihr verschlossen; nirgends konnte sie hin mit ihrem Herzen voll Kummer, doch große

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