Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

eine hübsche Stütze könne unter Um¬ ständen recht unbequem werden, und be¬ chloß, als vorsichtige Mutter diesen Punkt bei einem etwaigen Wechsel nicht zu übersehen. Heute hatte Clara alle Hände voll Arbeit, denn morgen wollte die gnädige Frau ins Bad reisen, und in der Eigen¬ chaft einer Gesellschafterin und Kammer¬ ungfer zugleich fiel es Clara zu, sie zu begleiten. Es bangte ihr schon lange davor, weil sie dann Frau Mirus zu risiren hatte, eine Kunst, welche zu Hause von dem bessern Zimmermädchen erledigt wurde, und in der Clara sich bisher nur an ihrem eigenen blonden Kraushaar geübt hatte. Frau Mirus Geduld zählte nicht zu den hervor¬ ragendsten Eigenschaften dieser Dame, und ihre Stütze war stets am ungeschicktesten, wenn sie die Stirne ihrer Herrin be¬ wölkt sah. Würde ihr das neue Expe¬ riment wohl gelingen? Doch es blieb ihr nicht lange Zeit, über der Tasse erkalteter Chocolade, bei der wir sie getroffen, ihren Befürch¬ tungen nachzuhängen. Es gab noch eine Menge Kleinigkeiten in Frau Mirus Garderobe zu vervollständigen — da und dort eine Schleife anzuheften, frische Spitzen einzunähen u. s. w., ehe Alles zum Packen fertig in ihr Zimmer ge¬ bracht wurde. Clara richtete sich einen großen Korb voll zusammen und trug die Arbeit hinaus in die Rosenlaube hinter dem Hause im Garten, wo sie am liebsten arbeitete und ihren Gedanken Audienz gab. Der junge Herr ging mit einem Buch in der Hand im Garten auf und nieder. Seine Blicke nahmen häufig Ab¬ tand von der wissenschaftlichen Abhand¬ lung und wanderten verstohlen nach der Laube hin, die nicht dicht genug be¬ wachsen war, um die jugendliche Ar¬ beiterin unsichtbar zu machen. „Ob der allerliebste Käfer wohl ab¬ sichtlich sich hieher geflüchtet, weil es ihn in meine Nähe zieht?“ fragt sich der junge Mann selbstgefällig. Könnte er ihre Ge¬ 55 danken lesen, so würde seine Eitelkeit einen Stoß bekommen, denn ihre Ge¬ danken sind eben zu einem andern jungen Manne gewandert, von dem sie nicht weiß, ob er sich die hübsche Nachbarin nicht längst aus dem Sinne geschlagen at. Heute übers Jahr dachte sie bereits aheim zu sein; ihre zwei Jahre waren ann um. (Fast schien es ihr, als ob es ine Strafzeit wäre, die sie zu verbüßen hatte, statt der Erfüllung ihres Ver¬ langens!) Ja, wenn sie nur einmal wieder daheim war, sollte es ganz an¬ ders werden als früher .... die Mutter würde nichts mehr zu klagen finden. Sie hatte es nicht über sich gebracht, der¬ ob leichen schriftlich anzudeuten ..* * — Ach s die Mutter doch wohl ahnte? die Briefe waren gar so knapp bemessen von daheim! Die Mutter hatte ja nie Zeit zum Schreiben, und der Vater war den Schreibübungen erst recht feindlich jesinnt. „Fräulein Clara, Fräulein Clara! ließ sich eine schrille Stimme von oben vernehmen, „sind Sie so gut und kommen S' 'rauf!“ Der Schmerzensschrei ertönte von der Köchin, welche Verschiedenes aus der Speisekammer gebrauchte, zu welcher Frau Mirus in der letzten Zeit die Schlüssel an Clara abgegeben hatte. Die Unterbrechung kam ihr unge¬ legen, denn sie sollte die Sachen am Morgen fertig bringen, da es am Nach¬ mittag noch dringende Gänge zu machen gab. Dennoch willfahrte sie eilig dem Rufe der Köchin, der ohnedem die Autorität, welche die Stütze in gewissen Dingen über sie hatte, durchaus nicht paßte. Mit der Wiederaufnahme ihrer Ar¬ ging es bei Clara nicht so rasch, beit sie gehofft. Die Kinder wollten ils einen kleinen Imbiß haben, ehe sie sich zum Morgenspaziergang mit der Gou¬ vernante rüsteten. Kaum war dies er¬ ledigt, so verlangte das Zimmermädchen neues Putzmaterial, das in der Vor¬ rathskammer aufbewahrt wurde.

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