Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

52 nicht von einem Platz zum andern — wenn Du überhaupt einen findest.“ Gerade als ob ich ein gewöhnliches Dienstmädchen wäre oder werden wollte! dachte Clara bei sich selbst. Sie unter¬ ließ es, einen Einwand gegen des Vaters Ausspruch zu erheben, weil sie aus Er¬ fahrung von der Nutzlosigkeit überzeugt war. Warum sie eigentlich sein Verbot, vor zwei Jahren ins elterliche Haus zurückzukehren, etwas verstimmte, ver¬ tand sie selbst nicht recht. Es handelte sich nunmehr darum, rasch einen Beruf zu wählen, der den Eintritt in die Welt, welche so geheimni߬ voll in der Ferne lag, vermitteln sollte Stütze der Hausfrau“ zu werden, er¬ schien auch Clara, wie manchem andern heimatmüden jungen Wesen als ideale begehrenswerthe Stellung. Man stand als solche eine Stufe oder vielmehr verschiedene Stufen höher wie die gewöhnliche dienende Classe und die Zugehörigkeit zur Familie war ge¬ sichert, wie sich aus allen Zeitungs¬ annoncen ersehen ließ. Das Suchen nach einer vacanten Stelle begann jetzt allen Ernstes. Nie ge¬ hatte der Postbote so oft Einkehr halten in Herrn Günzer's Milchgeschäft als seit seine älteste Tochter beflissen war, Stellung zu finden. Aber lange, gar lange wollte es ihr nicht gelingen. Was wurde nicht Alles von einer Stütze erwartet und gefordert. Nebst Erfahrung in sämmtlichen häus¬ lichen Angelegenheiten auch Kenntniß im Schneidern und in feiner Handarbeit u. s. w. Die Einen beanspruchten noch neben¬ bei Krankenpflege, musikalische Bildung gesellschaftliche Talente und Anderes mehr. Was unter letzterem zu verstehen, schien dem jungen Mädchen nicht ganz klar; sicher war es etwas, das sie nicht besaß, überlegte sie seufzend. Oft wurde ein sehr geringer, außer allem Verhältniß zu den Leistungen ste¬ hender Lohn geboten und die Familien¬ zugehörigkeit als lockender Ersatz für das schnöde Geld in Aussicht gestellt Doch endlich war Clara das Glück günstig. Die Frau eines Fabrikanten er¬ klärte sich nicht abgeneigt, mit dem was die „Stütze“ als Leistungen versprechen konnte, zufrieden zu sein und wünschte baldmöglichsten Eintritt. die Arbeiten be¬ Mit Hast wurden trieben, die noch nöthig waren, um die bescheidene Garderobe des jungen Mäd¬ chens zu vervollständigen. Die Feldarbeiten hatten inzwischen begonnen, und die Zeit der Mutter war knapper bemessen, denn zuvor; doch half sie mit emsiger Hand, so oft sie konnte, um das Vögelchen zum Flug in die weite Welt fertig zu machen, den es nun ein¬ mal gleich anderen sensationsbedürftigen Wesen unserer Zeit zu unternehmen ent¬ chlossen war. Je näher der Tag der Trennung kam, umso ängstlicher ward das Herz der Mutter, und ihr „Behüt' Dich Gott!“ ist nicht bloße Formel, sondern eine de¬ müthige Bitte an den Höchsten. Ueber ein Jahr ist verflossen, seit Clara das elterliche Haus verließ und die elegante Umgebung, in welcher wir sie wiederfinden, sollte ihr Verlangen nach äußerem Glanz weit übertroffen haben. Es unterliegt keinem Zweifel, die Stütze hat es verstanden, ihr Aeußeres der Umgebung anzupassen. Der tadel¬ lose Zuschnitt des zwar einfachen Kleides, das niedliche Latzschürzchen erinnert nicht mehr an die Kleidung der kleinen Land¬ pomeranze von ehedem. Auch das viel¬ leicht zu lebhafte Roth ihrer Wangen ist durch die Stadtluft etwas abgetönt worden, und die zu vorlaute Art zu sprechen, hat einer gewissen Zurückhaltung Platz gemacht. Sie sitzt eben allein und verspätet am Frühstückstisch, den die Anderen bereits verlassen haben, und gießt sich aus einer Rococo=Porzellankanne die kalt gewordene Chocolade ein. Die Ver¬ spätung entspringt aber nicht etwa einer Trägheitssünde der „Stütze“ davon ist sie längst gründlich geheilt worden. Wenn sie spät den Morgenimbiß zu sich

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