Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

50 verlustig gegangenen Kaffee hinunter¬ schlürfte. Wie kleinlich man doch im elter¬ lichen Hause war! Welches Aufhebens wegen eines geringfügigen Dinges! verspätetes Aufstehen wurde zu einem wirklichen Vergehen aufgebauscht Clara war ein aufgewecktes Mädchen, die wie Andere dazu neigte, eine rasche Auffassungsgabe mit wirklichem Wissen zu verwechseln. Sie hielt sich infolge dessen für sehr klug, überschätzte ihren eigenen Werth und lebte sich in die Idee hinein, sie sei viel zu gut für ihre einfache, schlichte Umgebung. In solch' anspruchslosem Haushalte ließ sich doch nichts Nennens¬ werthes erlernen, außer Ordnung und Reinlichkeit. Dazu bedurfte man aber auch keiner Anleitung, wenn man nicht just auf den Kopf gefallen war! Försters Meta, ihre Herzensfreundin, hatte sich zur Kindergärtnerin ausgebildet und schon eit mehr als einem Jahre Stellung in der Residenz als solche gefunden, obschon sie es „eigentlich nicht brauchte“, wie sie Clara wiederholt versicherte. Eine der¬ artige Stellung lockte Clara nun zwar nicht, da ihr die Kinder schon hier im Hause „über“ waren, aber die Resultate des Ausfluges, den die Freundin in die weite Welt unternommen, spukten dock seit geraumer Zeit in dem hübschen Köpf¬ chen der Zurückgebliebenen und erfüllten sie mit Geringschätzung für ihre Um¬ gebung. Wie vornehm sah doch die Freundin auf der Photographie aus welche sie ihr nach sechsmonatlichem Aufenthalte in der Residenz zugeschickt! Und wie verlockend lauteten ihre Schilderungen von dem regen, bunten Leben, das bei einem Gang durch die Straßen Einem vor die Augen tritt! Der letzte Brief gar, den Clara noch bequemlichkeitshalber in der Tasche herumträgt, um recht oft die interessan¬ testen Stellen wieder zu lesen, enthielt die Beschreibung einer Galavorstellung im Theater, welche Meta mit anseher durfte. Freilich schloß sie ihr Lob des Gesehenen etwas kleinlaut mit den Wor¬ ten: Ach könnte ich doch öfters solchen Hochgenuß haben, statt mich von früh spät mit eigensinnigen, boshaften bis — „Es Kindern quälen zu müssen!“ geschieht ihr schon ganz recht,“ denkt Clara altklug, „warum zieht sie sich die Kinder nicht ordentlich!“ Clara war so erfüllt von Unzufrieden¬ heit mit den bestehenden Verhältnissen in denen sie lebte, daß sie wenig Gewicht auf die Schattenseiten legte, welche die Freundin andeutete. Sie sah nur die Lichtseite des Bildes, das ihr gezeichnet worden, und verglich damit ihr eigenes, einförmiges Dasein, dem solche Glanz¬ punkte wie eine Theatervorstellung gänz¬ lich fehlten. Das „ewige Einerlei“ des Arbeitens von früh Morgens bis spät Abends daheim ward — wie sie in tiefem Mit¬ leid für sich selbst zu sagen pflegte höchstens durch einen Spaziergang mit den Eltern unterbrochen, oder durch die Betheiligung an einem ländlichen Feste, wie solches der Schluß der Ernte, die Kirchweihe u. s. w. dem Landbewohner bieten. Und gerade wenn der Höhepunkt eines derartigen Festes gekommen, wenn der Tanz am lustigsten, die Stimmung am heitersten ist — dann mahnt die Mutter zum Aufbruch, wohl schon wieder der Arbeit am nächsten Tag gedenkend. Ist das ein Leben für ein junges Mädchen — das nicht häßlich ist, und dem selbst im Städtchen der wohlgefäl¬ ligen Blicke gar viele folgen, denen aus nächster Nachbarschaft gar nicht zu ge¬ denken? Daß sie Müllers Johann nicht gleichgiltig ist, weiß sie recht gut. Der brave Mensch hat ihr zu einer Zeit auch wohl gefallen. Kopf Erst seit sie allerlei Grillen im — findet — so behauptet der Vater hat ie Verschiedenes an des Müllers Aelte¬ ten auszusetzen. „Johann“ heißt jeder Hausknecht, hatte sie sich kürzlich weg¬ werfend geäußert, und sein ganzes Leben lang Mühlräder klappern zu hören das wäre auch Geschmacksache, meinte sie schnippisch. Diese und andere spitze Bemerkungen

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