36 zu dem das Mondlicht hereinfiel, das die dunkle Stube mit mattem Schimmer erhellte. — Er konnte heute keine Ruhe finden. Der Zeiger der Uhr rückte unauf¬ haltsam weiter. Es mochten ungefähr zehn Minuten vergangen sein, da stand er plötzlich auf — bekreuzte sich und sprach wie im Traume vor sich hin „Der Herr sei ihrer armen Seele gnädig! Und wie mit einem Zauberschlage war Alles um ihn her versunken. Zwan¬ zig Jahre seines Lebens hinweggewischt wie durch einen Schleier sichtbar erschien ihm die Vergangenheit, und er sah sich wieder wie an jenem unvergeßlichen Sommermorgen vor der Thüre seines Hauses stehen, indes sein Weib die chweren zinkenen Eimer am Brunnen wusch. Die Pfeife im Munde, sah er einst den blauen Ringeln nach, die im Morgen¬ wind zerflatterten. Ihm fehlte damals nichts zu seinem Glücke. Vor ihm dehnten sich die prächtig wogenden Felder, die üppigen Wiesen, auf denen das würzig duftende Heu in unabsehbarer Menge lag, in dem Stalle feiste Rinder und die Scheune bis oben¬ auf mit der Frühernte gefüllt. Ein junges, rühriges Weib vor ihm, und daneben sein flachshaariges vier¬ jähriges Söhnlein, das mit seinen blauen Angen schelmisch zu dem Vater hinüber¬ sah. Oben in der Kammer stand seit einigen Tagen die Wiege, welche sein zweites Kind, ein Töchterlein, barg. „Gehst Du heute nicht mit dem Brunnhuber nach Tölz?“ sagte seine Frau. „Ich hätte noch verschiedene Besor¬ gungen — aber da kommt er ja selbst!“ Von dem Nachbargut her schritt eine mächtig beleibte Gestalt mit einem ge¬ wichtigen Knotenstock in der schwieligen Hand „Nun, was ist's, kommst mit?“ rief der Näherkommende über den Garten¬ zann her. „Kann nicht,“ entgegnete Lenz von Haidach. — „In ein paar Stunden kommt der Thierarzt, bei meiner Scheckigen nachzusehen. „Aber den Jakob da könntest mit¬ nehmen, der freut sich schon die ganze Woche auf den Jahrmarkt.“ „Möcht' schon, Vater! „Also flink, Bursche! Aber laufen mi zt Du, daß Dir die Beine krachen! Und hübsch brav sein, verstanden!“ Die väterlichen Ermahnungen kamen nur mehr wie ein fernes Echo an das Ohrdes Davoneilenden, der seinen Stroh¬ hutholte und mit demselben eiligst durch das Hofthor schlüpfte. Nun ging es dahin über die noch thaugetränkten Fluren, hinein in den harzduftenden Wald und der Junge stampfte glückselig nebenher und versuchte das Liedlein nachzupfeifen, mit dem der Brunnhuber seinen Marsch begleitete. Gegen Mittag kamen sie nach Tölz. Da wehten an allen Häusern buntc Fahnen herab und Guirlanden auf hohen Masten zogen sich von einem Ende des Marktfleckens zum andern In der Hauptstraße waren die Buden aufgeschlagen mit den großen Honigkuchen und Lebkuchenherzen, darauf erbauliche Sprüchlein für Jung und Alt mit bunten, zuckrigen Lettern standen. Ein Affe, mit einem rothen Röcklein angethan, sprang wie ein Besessener umher und machte allerlei possirliche Verbeugungen vor seinem Publicum, das im weiten Kreise um ihn stand und ihn neugierig beobachtete. Als er seine Vorstellungen beendet, zog er sein rothes mit einer Spielhahn¬ feder geschmücktes Mützlein und sammelte die ihm dargereichten Kupfermünzen. Als er zu Jakob kam, der in der vordersten Reihe stand, versuchte dieser, dem Affen spaßhalber die Bettelmütze zu entreißen Da kam er aber schön an. In demselben Augenblick hatte das Thier Jakob's neuen Strohhut erwischt und bearbeitete ihn mit Zähnen und Füßen derart, daß die Fetzen weit umherflogen und kein ganzes Fädchen mehr an demselben war.
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