Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

34 Gefehlt oder getroffen!“ dachte sie „Jetzt will ich ihn einmal aufs ich. Korn nehmen und ihm seine Grillen vertreiben!“ „Was Du nur heute hast, Vater?“ sagte sie und setzte sich neben ihn. „Ist das auch ein Festtagsgesicht! Den ganzen Tag verbitterst Du mir mit — Fehlt Dir Deiner entsetzlichen Laune denn etwas? Soll ich zum Bader schicken daß er Dir Ader lasse? — Gelt, Tiger, 3 das ist kein Benehmen von Deinem Herrn Anstatt, daß er den ganzen Tag pfeift und singt und Gott dankt, daß sein Dirndel nun glücklich zwanzig Jahre geworden, läßt er den Kopf hängen und schaut uns alle Beide nicht einmal an!“ „Lass' mich in Ruh', Loni, und schwätz mir nicht so dummes Zeug daher; bis morgen ist's wieder versaust, aber heut' geht's nun einmal nicht anders! Ich hab schon meine Gründe und Du brauchst sie Mach' am allerwenigsten zu wissen. daß die Leute zu essen bekommen, es geht schon in die siebente Stunde!“ Mißmuthig, nichts bezweckt zu haben stand Loni auf und ging in die Küche „Wer da klug daraus werden kann, jammerte sie und nahm den Topf von dem Holzgestell an der Mauer, die Abend¬ mahlzeit zu bereiten. Am Abend hatte sich der Vater früher als sonst in seine Schlafkammer zurück gezogen, nur Loni hielt es noch nicht in den schwülen, dumpfigen, niedrigen Räumen. Sie zog in den weiten Garten mit seinen Kaiserkronen und hochstämmigen Malven. Sie war heute noch nicht dazu¬ gekommen, die Reben am jenseitigen Zaune aufzubinden, die gestern der Sturm los¬ gerissen, und wollte dies jetzt nachholen. Als sie am Ende des Gartens angelangt war und eben in die wogende, herab¬ hängende Rebenstaude griff, richtete sich eine dunkle Gestalt ihr gegenüber langsam in die Höhe. „Tiger“, der Loni begleitete und neben ihr stand, fing zu knurren an und fletschte eine Zähne. Sei ruhig, Tiger! — Keinen Laut mehr! Sie zog den Hund an sich heran, der sich treuherzig an sie schmiegte, mit lauernden Blicken jedoch sein Gegenüber unverwandt beobachtete — offenbar war er der Meinung, daß von da drüben her nichts Gutes zu erwarten sei. „Kennst Du mich noch, Loni?“ „Kann mir's wohl denken, wer Du bist, wenn Du Dich auch noch so ab¬ sonderlich verändert hast! Loni betrachtete aufmerksam das gut¬ müthige Antlitz mit dem kecken, blonden Schnurrbärtchen, dem Grübchen in Wange und Kinn und den dunklen, blitzenden Augen. „Wie lange warst Du wohl in der Fremde? „Sieben volle Jahre! Als ich fort¬ ging, standest Du, ein kleines Dirndl, barfüßig am Brunnenrand und hast mir heimlich nachgesehen, denn sprechen durf¬ — Hast Du test Du ja nicht mit mir. Dich nun anders besonnen, oder bist Du ¼ noch immer nicht klüger geworden? Loni blieb ihm die Antwort schuldig und machte sich neuerdings mit ihren Rebenstauden zu schaffen — im weiten So nahe beisammen Umkreis kein einziger Mensch und immer diese bodenlose Feindschaft. — Hat mich heute erbärmlich genug angesehen, Dein Vater, weil ich mich vermaß, ihn zu grüßen. Bin ja ganz aus dem Text gefallen. — Draußen in der Fremde weiß man die liebe Heimat zu schätzen, und wenn es nur ein alter, griesgrämiger Vater ist, der hinter der Ofenbank sitzt und Grillen fängt, und ein paar morsche Bäume, die ihre Arme nach Einem aus¬ breiten. Wer aber, wie ich, ohne Sorge in die Zukunft blicken kann, wer Hunderte von Tagwerk sein Eigen nennt, ein tattlich Haus inmitten der herrlichen Gebirgswelt besitzt, und er kommt nun heim nach jahrelanger Wandersahrt aus dem Qualm der Städte und dem Dunst der Studirstuben, der weiß nichts mehr von Groll und Feindschaft, der möchte

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