Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1900

2 bemerkte Nanni endlich, indem sie die dunkelblonden Locken, welche sich ihr immer wieder ins frische Gesicht drängten, unter das schwarze Tuch zurückstrich „O mei, Nanni, der wird wohl arg sein! Hat er doch net amal sein' leiblinge Suh'*) g'mögt, hat ihn furt'trieb'n ins Amerika. Jetzt sind's aec’rat fünf Viertl Jahr', daß er weg is, der Hans. Und das is Dir fein a sauberner, a g'schickter Bua g’wes'n. A Lump freili auch, aber bei an solchen reich'n Bauernssuh' hätt's das schon derlitt'n, z’weg'n dem wär'n sei's Vaterns Geldsäckl net so bald laan word'n. „Daß i 'hn nimmer 'kennt hab'! bemerkte das Mädchen sinnend. „Mei, er is kaum sechs Monat' vor der Militär dag'wes'n. I kennet den Buam selber nimmer, wenn er mir jatzt begegna thaat. Hab'n auch net oft g'sehg'n denn seit Dei's Vaterns Tod bin i meiner Kraanklichkeit halber selt'n mehr aus 'm Häusl g'kemma. Du wohl alle Sunnda aber Du hast koa G'leg'nheit nie g’habt, mit den Leut'n bekannt z’werd'n. Denn wer schauet etwa so an arm's Dirndl an? Höchstens a Knecht, und das verbitt i mir!“ — Hier blieb die Witwe stehen und ergriff mit heftigem Drucke des Mäd¬ chens Hand. „Hörst Du, Nanni, sagte sie eindringlich, „mach' Dir mit koan' von die Scheib'nbauerknecht' was an, über¬ haupt mit gar Neamd'n.*) Halt' Dich als brav's Dirndl und mach' mir koa' Schand' Du bist iatzt erst achtzehn Jahr' alt, man woaß net, was Dir noch für a Glück blüaht, wennst brav und ordentlich bleibst.“ „Glück!“ erwiderte Nanni mit einem überlegenen Lächeln. „Der Vater, tröst n Gott, hat all'mal g'sagt, das oanzige Glück auf der Welt 'is das, wenn man sich nix Schlecht's fürz'werfa hat. „Das schon. Aber man kann's auch sunst im Leb'n zu ebb's***) bringa, wenn man g'scheit is. Und das bist Du, Gott sei Dank! 2i: Sohn. **) Niemanden n*) Etwas. Eine gute Weile noch setzte die Witwe ihre Ermahnungen fort, bis ihr endlich, als das Fuhrwerk einen ziemlich steilen Berghang emporlenkte, der Athem aus¬ ging. Von da ab schritten die Beiden chweigend dahin, während der Fuhrmann vorne bei den Pferden sein ganzes Fluch¬ register durchnahm, denn die Bahn war herzlich schlecht und seine Geduld nicht die langmüthigste. Noch schlimmer wurde es, als sie in ein dichtes Gehölz einbogen. Dort kennzeichneten nur mehr halbver¬ wehte Fußtritte den Pfad, der selbst im Sommer für Fuhrwerk kaum passabel sein mochte. — Nanni hatte bei dem lang¬ samen Vorwärtskommen vollauf Zeit sich umzublicken. Es war freilich nach allen Seiten hin nichts zu sehen als Wald und nur Wald, bestehend aus rie¬ enhaften Tannen, kerzenschlanken Fichten und knorrigen Buchen. Darunter erhob sich in grünen Dickichten der junge Nach¬ wuchs über dem Schnee, guckten die ge¬ rorenen Brombeerranken neugierig aus demselben hervor. Wer aber, wie das junge Mädchen, ein Auge dafür besaß, der sah sich Pracht genug im winterlichen Waldreich. Glichen doch diese Tannen und Fichten mächtigen Christbäumen, be¬ hangen mit krystallenem Schmuck und besteckt von tausend funkelnden Lichtern, welche die durch die Wipfel hereinleuch¬ tende Sonne entzündete. Und hoch da¬ rüber wölbte sich der Himmel, wie ein durchsichtiges Glasdach von zartblauer Farbe. Ein frohes Licht schimmerte auch in Nanni's Augen beim Anblick all der Herrlichkeit. Aber sie sprach kein Wort, denn sie wußte wohl, daß die Mutter ie, wie so oft schon, wenn sie an Blu¬ men, Bäumen, Wässern u. s. w. Freude gezeigt, ein dummes, kindisches Ding chelten würde, das immer schaue, was fliege, und nicht was krieche. Nach etwa einer halben Stunde er¬ reichten sie endlich das Freie. Breite Felder begannen, welche sich aufwärts zogen bis zu einem Punkt, auf welchen sich die Blicke Nanni's und ihrer Mutter jetzt beharrlich richteten. Es war ein

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