Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1900

98 waren, in deren Sprache ein befestigtes Lager Tabor hieß, so nannten die Bürger den Platz da oben das böhmische Lager oder kurzweg Tabor, zum Unter¬ schied von anderen, kleineren Schanzen nahe der Stadt, die aber weder die Größe, noch die starke Besatzung, daher auch 77 nicht die Bedeutung des „Tabors hatten Befehlshaber am „Tabor“ war im Jahre 1464 Thomas Pürchinger Herr auf Schloß Zierberg, welcher sich mit Georg von Stain verbündet hatte und in dessen Abwesenheit die Stadt Steyr tüchtig brandschatzte. Das hatte der edle Herr auch heute gethan und das Ende des schönen Julitages, an dem diese Er¬ zählung beginnt, sah den edlen Herrn Thomas vor seinem Zelte im Lager oben sitzen und Gericht halten, was er all¬ abendlich zu thun pflegte, denn Herrn Georg von Stains Söldner waren ein gar unbotmäßiges Volk und nur mit Strick und Schwert zu zügeln. Bei sinkender Sonne erforschte der Pürchinger wohl nicht sein Gewissen, aber jene der Söldner, und mancher der zuchtlosen Gesellen schied mit dem letzten Sonnenstrahl aus diesem, für Steyr der¬ zeit wahrhaftigen Jammerthal. Zu solchen, mehr rohen als richterlichen Tagesschlüssen eignete sich der Platz, wo dieselben statt¬ fanden, ganz besonders. Thomas Pür¬ chingers Zelt stand fast an derselben Stelle, wo heute das Wächterhaus am Tabor sich befindet, denn es ließ sich von da so weit hinauslugen an die Enns und an die Steyr hinauf, und ein neben dem Zelt stehendes, stets zum Schuß bereites Feuerrohr sorgte für die nöthige Sicher¬ heit von der Stadt, aber auch für den Gehorsam der Söldner gegen ihren tellvertretenden Herrn und dessen Befehle. Ein paar Schritte vom Zelt entfernt, Enns abwärts, stand eine Eiche von ge¬ waltigem Umfang und großer Höhe, deren knorrige, dicke Aeste einen Galgen wohl ersetzen konnten, „mehrere Galgen, genug für alle Einwohner von Steyr“, wie der Pürchinger jetzt höhnend zu drei jungen Männern sagte, welche, die Hände auf den Rücken gebunden, trotzigen Antlitzes vor ihm standen und finster zur Stadt hinabsahen, deren Häuser schon etwas im Zwielicht lagen und von wo herauf nur die Butzenscheiben der größeren Gebäude noch den verflossenen Abendsonnenschein wiedergaben. „Genug Galgen für Euch dickschädelige Steyrer“, fuhr der Pürchinger grimmig in seiner Rede fort, „und ich henke Euch, verlaßt Euch drauf, wenn ich nicht binnen wenigen Tagen das Lösegeld für Euch vom Stadtrichter habe!“ „Was haben wir Euch gethan, daß Ihr uns wie herrenlose Hunde abfangen läßt und hieher schleppt?“ fragte einer der jungen Männer, furchtlos dem Pürchinger in die stechenden, grauen Augen schauend, „ich seh' Euch jetzt zum erstenmal im Leben, bin ein freier Bürger, wie Ihr ein freier Adeliger, und habe nichts gegen Euch —“ „Das ist sehr schön von Euch, mein lieber Caspar Flädarn, höhnte der Pürchinger, hell auflachend, und strich den ergrauenden, struppigen Bart, „wollt es Euch auch nicht gerathen haben, gegen mich etwas zu haben! Himmel und Erde, der Bürgerliche gegen den Adeligen etwas haben! Handelt sich mir auch just nicht um Euch und die Zwei da — ich lieg mit den Stadt Steyrern in Fehde und so lang die nicht mit mir Frieden schließen und mir Schutzgeld zahlen, seid Ihr meine Geißeln und damit hollah! Verstanden? sagte „Wohl, Herr Pürchinger“ Caspar jetzt ganz ruhig, aber mit ver¬ haltenem Grimm. „wir sind in Eurer Macht, aber recht ist das nicht gehandelt!“ „Ach, was, Recht“, meinte der Pür¬ chinger höhnisch und trat ganz nahe an den Sprecher heran und sah ihm in das vor Aufregung dunkelrothe hübsche Ge¬ icht, „Recht hin und her, Macht ist Recht und ich hab' die Macht, daher ist Alles was ich thu, auch recht!“ Und er schlug mit der flachen Hand an die Scheide des Schwertes, daß es klingend ertönte „Seht, dias ist das Recht“, setzte er fast ruhigen Tones hinzu, „halt's Euch nicht für übel, daß Ihr das nicht wißt,

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