Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1900

92 erfreuen. Auf Cuba kam es zu blutigen Zu¬ sammenstößen der Amerikaner mit der einhei¬ mischen Bevölkerung und auf den Philippinen vermochten es die Amerikaner bis heute nicht, der Aufstände der Philippinos Herr zu werden, die sich, wie früher gegen Spanien, so nun gegen die Vereinigten Staaten von Nordamerika richteten. Der Verlauf des spanisch=amerikanischen Krieges konnte natürlich nicht ohne Rück wirkung auf die inneren Verhältnisse Spaniens bleiben. Die Katastrophe von Santiago und die dadurch herbeigeführte Nothwendigkeit an den Friedensschluß zu denken, veranlaßte die spanische Regierung, um freie Hand zu den diesfälligen Verhandlungen zu bekommen, am 15. Juli 1898 die Suspendirung der verfassungs¬ mäßig gewährleisteten persönlichen Rechte in gan Spanien auszusprechen. Am 1. März 1899 gab das Ministerium Sagasta seine Demission indem es die Unmöglichkeit betonte, die Regie rung mit den gegenwärtigen Kammern fortzu¬ ühren. Dem liberalen Ministerium Sagasta olgte am 4. März 1899 das reactionäre Cabinet Silvela. Die nach Auflösung der Kammern Mitte April erfolgten Neuwahlen brachten eine regierungsfreundliche Majorität, wobei es freilich bei den Wahlen selbst zu heftigen, oft auch blutigen Zusammenstößen kam Der Versuch des Ministeriums Silvela, die Steuerschraube fester zu ziehen, verursachte leb¬ hafte Beunruhigung, welche Ende Juni und anfangs Juli 1899 in mehreren Städten Spaniens zu Aufruhr und Aufständen führte, die nur mit Waffengewalt zu unterdrücken waren Am 25. Mai 1899 starb Emilio Castelar. Er war am 8. September 1832 zu Cadix ge¬ boren, gehörte zu den hervorragendsten Staatsmännern Spaniens, in dessen Geschicke — er ein überzeugungstreuer Republikaner wiederholt in entscheidender Weise eingegriffen 4 hat. So wurde er am 26. August 1873 zum Präsidenten der Cortes ernannt, um bald darau das Ministerpräsidium mit dictatorischer Gewalt zu übernehmen. Nach Wiederherstellung der — Monarchie unter Alphons XII. im Jänner 1875 zog Castelar nach Paris, von wo er ein Jahr darauf als Abgeordneter der Stadt Barcelona wieder in die Cortes eintrat, um sich im Jahre 1893 für immer aus dem politischen Leben zurückzuziehen. Ein fürchterliches Hagelwetter richtete Mitte Juni in Madrid ungeheuren Schaden an. Die Straßen waren sechs Zoll hoch mit Eisstücken bedeckt, mehrere Personen wurden verwundet eine getödtet. Die Anlagen und Gärten von Madrid wurden von dem Unwetter verwüstet Belgien, Am 23. Jänner 1899 führten die Ver¬ handlungen im Ministerrathe über eine Regie rungsvorlage, betreffend die Wahlreform, zu einer theilweisen Ministerkrise. Der Minister¬ präsident und der Minister der Finanzen, De Smet de Nayer, sowie der Minister für In¬ dustrie und Arbeit, Nyssens, überreichten ihre Demission. Eisenbahn= und Kriegsminister Van¬ denpeereboom übernahm das Ministerprä¬ idium. Die Vorlage eines neuen Wahlgesetzes durch das Ministerium Vandenpeereboom eines Gesetzes, welches die ausgesprochene Ab¬ sicht hatte, die seit 1884 währende Herrschaft der Clericalen in Belgien auch für alle Zukunft durch ein raffinirt ausgeklügeltes Wahlsystem für die großen städtischen Wahlkreise zu sichern erregte einen Sturm der Entrüstung bei allen anticlericalen Gruppen: den Liberalen, Fort¬ schrittlichen, Socialisten, christlichen Demokraten, gegen deren Einigung, durch welche sich die cleri¬ cale Herrschaft in ihrem Bestande bedroht sah, eben jenes neue Wahlgesetz Hilfe schaffen sollte. Das neue Attentat der clericalen Parteiherrschaft gegen die Freiheit der Wahl brachte in die Massen eine leidenschaftliche Erregung. Am Sonntag den 25. Juni 1899 kam es in Brüssel zu heftigen regierungsfeindlichen Straßendemonstrationen; dann folgten in der Kammer Sitzungen, in denen die Opposition nicht nur mit allen erdenklichen Waffen der Obstruction kämpfte, sondern es auch zu blutigen Schlägereien zwischen Socialisten und Clericalen kam; in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni 1899 brach der Aufruhr in den Straßen Brüssels los. Die Bewegung nahm einen entschieden revolutionären Charakter an das freisinnige Bürgerthum sympathisirte mit der Arbeiterschaft und die Bürgerwehr frater¬ nisirte mit der Menge. Die bewaffnete Macht, welche man gegen den Aufruhr aufgeboten hatte, mußte von der Feuerwaffe Gebrauch machen und Blut floß in den Gassen Brüssels. Am 29. Juni tobte von Neuem der Kampf in den Straßen. Aehnliches ereignete sich auch in andern Städten Belgiens. Die Regierung aber, welche in der Kammer die Berathung der Wahlreform¬ vorlage für den 5. Juli 1899 durchgesetzt hatte konnte sich noch immer, obwohl die Gemäßigteren zur Nachgiebigkeit riethen, zu einer solchen nicht entschließen. Erst als es ihr klar wurde daß Be¬ die Gefahr bestehe, daß die revolutionäre begung zu einer antidynastischen werden könnte, entschloß sie sich zu weichen und einer Ver¬ tagung der Wahlreform zuzustimmen.Am 4. Juli 1899 brachte die Regierung inder Kammer den Vermittlungsvorschlag, ihren fa¬ mosen Wahlgesetzentwurf einer Commission zur Vorprüfung zu überantworten, ein, und die Opposition hat, um dem Lande den Frieden wiederzugeben, zugestimmt; damit war der Ge¬ etzentwurf so gut wie begraben. Eine Reihe von Strikes in den Gruben¬ becken von Charleroi, Mons und Lüttich im April 1899 spricht für die Lebhaftigkeit der socialistischen Bewegung in Belgien.

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