76 rund 14 Monate nach der Eröffnung der ersten Theilstrecken der Wiener Stadtbahn dem öffentlichen Verkehre übergeben. An sonstigen interessanten Ereignissen des Jahres haben wir zu nennen die am 11. Februar 1899 erfolgte Eröffnung des Wiener Rathhaus¬ kellers und die in den Tagen vom 23. bis 25. Juni 1899 abgehaltene 1100jährige Grün¬ dungsfeier der königl. Stadt Iglau in Mähren. Letztere Feier wurde am 23. Juni mit dem traditio¬ nellen Zug der Knabenberghäuer von der St. Ignaz= Kirche zur Berghäuerkirche am Johanneshüge (der ältesten Kirche Iglaus) eingeleitet, welcher Zug an die Zeiten erinnern soll, da Iglau, mächtig gefördert durch das der Stadt in Jahre 1249 von König Wenzel I. von Böhmen verliehene Bergrecht, eine reiche und mächtig Bergwerksstadt war. Der 24. Juni, welcher von der Stadt Iglau als Jahrestag ihrer Gründung betrachtet wird, brachte als Hauptfestlichkeit des Tages eine Festvorstellung im Stadttheater, bei welcher nach einem von Prof. L. Prochaska verfaßten, die auf die erste Ansiedlung von Deutschen im Urwalde der Igel (799) bezüg lichen Sagen dramatisch behandelnden Festspiele „Im Urwald an der Igel“ eine Reihe vor prächtigen, überaus malerisch gestellten lebenden Bildern aus der Geschichte der Stadt Iglau Juni zur Darstellung gelangten. Am 25. endlich bewegte sich in Anwesenheit des Erz¬ herzogs Rainer und unter den hellen Jubel¬ rufen einer vieltausendköpfigen Volksmenge der Jubiläumsfestzug durch die Straßen der Stadt. Vom Prof. Emerich Nedwed meisterhaft entworfen und durchgeführt, führte derselbe in seinen einzelnen Gruppen eine Reihe der wichtigsten Momente aus der Geschichte der Stadt den Zuschauern vor Augen und bot eit dem denkwürdigen Wiener Festzuge Hans Makart's wohl der prächtigste Festzug, der — Oesterreich gesehen mit seinen glänzenden historisch getreuen Costümen, mit seinen statt lichen (von Veno Sedlak entworfenen)Fest wägen, mit seinen anmuthigen Frauen= und markigen Männer=Gestalten eine ebenso malerisch als farbenfrohe Augenweide. Als historisch interessante Gedenktage der Berichtszeit, in welche auch das von den liberalen Deutschen allseits festlich begangene 30jährige Jubiläum des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869 fiel, seien hier noch angeführt: der 1. Juli 1898, der 11. Jänner 1899 und der 26.Jänner 1899. Am erstgenannten Tage erlosch die Giltig keit des Kreuzers und halben Kreuzers für der Geschäfts= und Umlaufsverkehr und der 30. Juni 1898 war somit der Tag des „letzten Kreuzers“ Am 11. Jänner 1899 feierten der Rübenzucker und die für Oesterreich zu so großer wirthschaft¬ licher Bedeutung gelangte Rübenzucker=Industric das 100jährige Jubiläum ihres Bestandes. Am 11. Jänner 1799 hatte Franz Karl Achard,der Director der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften und nachmalige Begründer der Rübenzuckerfabrication, seinem Landesherrn, dem König Friedrich Wilhelm III., die ersten Proben von Rübenzucker überreicht. Am 26. Jänner 1899 feierte die Correspondenzkarte eine öster¬ reichische Erfindung das 30jährige Jubiläum hres Bestandes. Dr. Emanuel Herrman, derzeit Professor an der Technischen Hochschule in Wien, vor 30 Jahren Professor an der Wiener=Neu¬ tädter Militärakademie, publicirte nämlich am 26. Jänner 1869 seine Erfindung der offenen Briefe, die sofort in der Form, in welcher die Postkarte auch noch heute sich zeigt, zunächst von dem damaligen Generalpostdirector v. Maly in Oesterreich und alsbald auch von Deutschland, England, Frankreich, Amerika, Japan 2c. auf¬ genommen wurde. Der praktische Werth der neuen Idee kam augenblicklich zur Geltung Gleich im ersten Monate nach ihrer Ausführung wurden in Oesterreich eine Million Postkarten abgesetzt Auf dem Gebiete der bildenden Kunst, welche durch die consequenten Vorstöße der secessionisti¬ schen Schule in eine Periode permanenter Gährung versetzt wurde, ist in erster Linie eines Ereignisses zu gedenken, welches in der Wiener Kunst¬ industrie eine Spaltung hervorgerufen hat, die ür die gedeihliche Entwicklung derselben nicht ohne Gefahr ist: die Hausrevolution im Oester¬ reichischen Museum für Kunst und Industrie. Die eigenthümliche Art, mit welcher der gegenwärtige Leiter dieses Museums, Hofrath von Scala seine Vorliebe für den sogenannten englischen Stil, eine importirte, nüchterne Abart der „Moderne“ im Museum und in der damit ver¬ bundenen Kunstgewerbeschule zur dominirenden Geltung zu bringen unternahm, hatte zunächst einen schweren Conflict mit dem Wiener Kunst¬ gewerbevereine zur Folge und führte in weiterer Consequenz im November 1898 zum Rücktritte des Protectors und eigentlichen Gründers des Museums, Erzherzog Rainer, des Curatoriums und schließlich im December 1898 zur Demission des Directors der Kunstgewerbeschule des Oester¬ reichischen Museums Hofrath Ritter v. Storck, eines um die Entwicklung des Wiener Kunst¬ gewerbes hochverdienten Mannes. Zum Präsi¬ denten des Curatoriums des Museums wurde am 1. December 1898 der schmiegsame Freiherr v. Gautsch ernannt, während die Leitung der Kunstgewerbeschule im März 1899 dem Maler Prof. Felix Freiherr v. Myrbach anvertraut wurde, von dessen künstlerischen Antecedentien wohl erwartet werden darf, daß er die bewährten Traditionen der Wiener Kunstgewerbeschule, welche zur glücklichen Emancipation des Wiener Kunstgewerbes vom Auslande und zur Schaffung eines mustergiltigen Wiener Stiles geführt haben, nicht ganz verlassen und allzu outrirten „modernen“ Bestrebungen nicht die ausschließliche Herrschaft in der Kunstgewerbeschule einräumen werde.
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