72 Regierung und der deutschen Partei veranlaßten den Handelsminister Dr. Baernreither, welcher aus den Kreisen des verfassungstreuen Gro߬ grundbesitzes in das Ministerium berufen worden war, Ende September seine Demission zu geben welche am 3.October 1898 auch angenommen wurde Zum Nachfolger Baernreither's wurde Josef Baron Dipauli, ein Mitglied der katholischen Volkspartei, berufen, nachdem ihm vorher noch die Eröffnung gemacht worden war, daß das Cabinet Thun gegenüber der ungarischen Regierung die Verpflichtung zur unveränderten Annahme des Badeni=Banffy'schen Ausgleichs über¬ nommen habe. Mit der Ernennung Dipauli's zum Handelsminister war auch eine neuerliche Schwenkung der Regierung nach rechts voll¬ zogen, welche eine neuere Verschärfung des Gegen¬ atzes zwischen der Regierung und den deutschen Oppositionsparteien bedeutete. Inzwischen hatte die 7 die Regierung die Vorlagen betreffend den Gesetzentwürfe über den Ausgleich mit Ländern der ungarischen Krone im Abgeordneten¬ hause eingebracht und war es charakteristisch für die politische Ueberzeugungstreue jener bunten politischen Heerschaaren, welche dem Bannen der Regierung folgen, daß bei der am 3. Octoben ersten Lesung der Ausgleichs 1898 erfolgten vorlagen sich wohl 55 Contraredner, dagegen aber kein einziger Proredner zum Worte gemeldet hatte. Die Majorität hatte sich damit als eine olche documentirt, welche stimmt, aber nicht spricht, welche das ganze Gewicht ihres vom Volke überkommenen Votums für eine Sach einzusetzen beschließt, der sie kein vertheidigendes ja kein entschuldigendes Wort widmet. Eine un¬ angenehme Ueberraschung für die Pläne der Regierung, deren Endtaktik ja mit der Ob¬ truction der Deutschen im Parlamente rechnete, bildete der Beschluß der Mehrheit der deutschen Oppositionsparteien unter vorläufiger Auflassung der Obstruction in die parlamentarische Be¬ rathung der Ausgleichsvorlagen einzugehen. Eine Folge dieser veränderten Taktik war es zunächst, daß die Regierung sich veranlaßt sah, im Aus¬ gleichsausschusse eine Erklärung bezüglich der ge¬ planten und von der Opposition bekämpften neuen Verzehrungssteuern abzugeben, in welcher ausdrücklich zugestanden wurde, daß die Bier und Branntweinsteuern nur um ein Minimum erhöht werden sollten. Weniger erwünschte Folger hatte das eigenthümliche Verhalten einiger Mit¬ glieder der deutschen vereinigten Opposition (es waren drei Mitglieder des verfassungstreuen Großgrundbesitzes, denen sich zwei Mitglieder der Mauthnergruppe und zwei Italiener ange schlossen hatten) bei der Schlußabstimmung in der Generaldebatte über die dem Ausgleichsaus¬ schusse überwiesenen Ausgleichsvorlagen. Dr. Groß hatte den Antrag gestellt, über die Regierungsvorlagen zur Tagesordnung überzu gehen, und nur der Abstimmung der oben be¬ zeichneten Mitglieder der deutschen Opposition war es zuzuschreiben, daß der Antrag Groß abgelehnt wurde und so die Regierungsvorlagen nicht schon nach der Generaldebatte insgesammt abgelehnt wurden. Infolge dieser Abstimmung beschloß die deutsche Volkspartei, ihre Vertreter aus der die Gemeinbürgschaft der Deutschen ver¬ innbildlichenden Obmännerconferenz der Linken zurückzuziehen und wurde dieser Beschluß sowohl von der deutschen Fortschrittspartei, wie von dem Verbande der Christlichsocialen mit der Consta tirung der Thatsache zur Kenntniß genommen, daß nunmehr die Wirksamkeit dieser nach dem Attentate Falkenhayn auf die Redefreiheit des Parlaments ins Leben gerufenen Obmännercon¬ ferenz erloschen sei. Diese Vorgänge trugen nicht wenig dazu bei, die gegenseitige Stimmung im Parlamente zu verbittern und so kam es schon am 8. November 1898 wieder zu einer Sturmscene im Parlamente, wie solche unter dem Präsidium Abrahamovicz an der Tagesordnung standen. Der unerschrockene und temperamentvolle Ver¬ treter des deutschen Volkes, Abgeordneter Wolf, hatte im Laufe einer Rede die Sätze: „Ein —Ein Schmarotzervolk ist das polnische Volk! Schmarotzervolk am österreichischen Staats¬ körper!“ gebraucht, und nun tobte von den Polen¬ bänken ein Sturm von Entrüstungsrufen und des ganzen Hauses bemächtigte sich eine unbe¬ schreibliche Aufregung, welche sich lange nicht legen wollte. Eine Folge dieser Scene war ein Säbelduell zwischen den Abgeordneten Wolf und Gniewosz. Das Duell endete mit schweren Verletzungen Gniewosz', Abgeordneter Wols blieb unversehrt. Am 20. December erfolgte zur Abwechslung wieder einmal eine Vertagung des Der auf den 28. December 1898 Reichsrathes. böhmische Landtag wurde durch die einberufene der deutschen Landtagsabgeordneten Abstinenz wieder zum Rumpflandtage. Die Vertagung des Reichsrathes gab der Regierung Gelegenheit das Ausgleichs= und Budget=Provisorium, nach¬ dem weder die eine, noch die andere Vorlage im Reichsrathe zur Annahme gelangt war, im Wege des § 14 des Staatsgrundgesetzes zu decretiren (das Budget=Provisorium für die Zeit vom Jänner 4899 bis Ende März 1899), 1. wobei das bisherige Quotenverhältniß für die Dauer des Jahres 1899 unverändert beibehalten wurde. Nachdem so im Wege des § 14 für die Fortdauer des Ausgleiches mit Ungarn und die regelmäßige Einhebung der Steuern vorgesorgt worden war, erfolgte am 8. Jänner 1899 die Wiedereinberufung des Reichsrathes für den 17. Jänner 1899. Gleich in der ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses gab ein Nachruf, welchen der Präsident Dr. v. Fuchs dem inzwischen ge¬ storbenen Vater und Namenspatron der dem Ministerium Badeni und dem Präsidium Abrahamovicz so verhängnißvoll gewordenen Lex Falkenhayn zu widmen unternahm, Ver¬ anlassung zu einer Demonstration, indem sich die Mitglieder der deutschen Fortschrittspartei
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