Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1900

70 halten werde, beweist endlich die im Frühjahr 1899 mit fast elementarer Gewalt aufgetretene und durch die antideutsche Haltung der katho¬ lischen Volkspartei provocirte „Los von Rom!“ Bewegung Daß übrigens eine Versöhnung der Deutschen und eine Eindämmung der slavischen Hochfluth für Oesterreich ein Gebot dringendster Nothwendigkeit ist, muß jedem treuen Sohne des österreichischen Ge¬ ammtvaterlandes einleuchten. Die Dietatur der lavischen Majorität hat das parlamentarische Leben Oesterreichs lahmgelegt und zum Absolutis¬ mus mit dem Feigenblatte des § 14 geführt, denn nichts Anderes ist es, wenn die Regierung, um den Staatskarren nicht ganz versanden zu lassen, jeweilig das unangenehm gewordene Parlament vertagt, und dann auf Grund des nur für Fäll äußerster Noth gedachten § 14 Budget= und Ausgleichs=Provisorien decretirt. Die Dietatur der slavischen Majorität hat selbst in Ungarn zu einem parlamentarischen Conflicte, und bei der strengen Constitutionellität der Ungarn, die sich einem ex lege-Zustande nicht fügen wollten, zu einer Ministerkrise geführt. Die Dictatur der slavischen Majorität bedroht schließlich auch die auswärtigen Beziehungen Oesterreich=Ungarns indem dem führenden Element dieser Majorität, den Jungtschechen, der Dreibund ein Dorn im Auge ist. Wie sehr aber die feindselige Stellung der Tschechen gegen den Dreibund auch in Deutsch¬ land erkannt und gewürdigt wird, beweist unter Anderem ein Artikel der „Berliner Post“, welcher ich mit dem Tschechenthum und dem Dreibunde befaßt und in folgendem Passus culminirt: „Es mag diesen oder jenen österreichischen Staats mann geben, der glaubt, ein Oesterreich, worin das Tschechenthum die erste Geige spielt könne in der bisherigen Weise im Dreibund weiterleben. Für das deutsche Reich steht jedock der Grund¬ satz unerschütterlich fest, daß ein dentschechischen Tendenzen folgender Staat kein geeigneter Bundesgenosse mehr ist; darüber mögen die Vertuschungs= und Vogel Strauß=Politikersich nur keinen Illusionen hingeben. Man sollte sich in Oesterreich hüten, bloß um über die Schwierigkeiten der inneren Politikhinwegzu kommen, mit dem Feuer zu spielen!“ Wir zweifeln nicht, daß alle dieseUmständ endlich einmal auch der Regierung diezwingende Nothwendigkeit klar machen werden, mitErnst und Consequenz den Weg der ehrlichenVer¬ tändigung mit den Deutschen zu betreten. Frei¬ lich wird es zur Durchführung dieser Verständi¬ gung auch einer stärkeren Dosis Energie be¬ dürfen, denn die Tschechen bekunden bisher nicht die geringste Neigung, zu dieser Versöhnung reiwillig die Hand zu bieten. So haben die Jungtschechen das als schließliches Ergebniß der oberwähnten Conferenz der deutschen Vertrauens männer am 21. Mai 1899 publicirte, die For¬ derungen der Deutschen in Oesterreich detaillirt anführende Mänifest der deutschen oppositionellen Parteien des Abgeordnetenhauses„An das deutsche Volk in Oesterreich!“ obwohl die Regierung und die größten Parteien der Majo¬ rität selbes als eine geeignete Grundlage einer Versöhnungsaction bezeichnet haben — a limine zurückgewiesen und wie weit der chauvinistische Uebermuth in jungtschechischen und auch in den mit diesen parallel marschirenden jungslovenischen Kreisen bereits gediehen ist, beweisen aufs Schlagendste die Thatsachen, daß einerseits jung¬ tschechische Führer Böhmens sich nicht scheuten vom Prager Erzbischofe zu verlangen, daß gegen den Canonicus des Prager Domcapitels Dr. Frind, das Inquisitionsverfahren einge¬ leitet werde, weil er in einem Buche das sprach¬ liche Recht der Deutschen vom Standpunkte der politischen Ethik aus erörtert hatte, und ander¬ eits von slovenischer Seite im Krainer Land¬ — tage im Mai 1899 also nicht etwa am Faschingdienstag —allen Ernstes der aber¬ witzige Antrag gestellt wurde, die russische Sprache in den Realschulen von Krain als Lehrgegenstand einzuführen, damit die Slaven Oesterreichs nicht gezwungen wären, sich als gegenseitige Verständigungssprache der verhaßten deutschen Sprache zu bedienen. Haben wir hiermit ein allgemeines Bild soll der innerpolitischen Situation gegeben, so nun in einer detaillirteren Geschichte des Jahres die Richtigkeit dieses Bildes dargethan werden. Wir haben unseren vorjährigen innerpoli¬ tischen Bericht bis zu der mit kaiserlicher Ent¬ chließung vom 12. Juni 1898 erfolgten Vertagung des Reichsrathes geführt und knüpfen daran unsern diesjährigen Bericht. Wohl mit eine Folge der Grazer Vorgänge im Mai 1898 war es, daß die Conferenz der Clubobmänner der deutschen Linken einstimmig den Entschluß faßte, die von der Regierung gewünschten Erörterungen über ein von ihr verfaßtes Elaborat zur Regelung der Sprachenfrage abzulehnen, wobei die Er¬ klärung abgegeben wurde, daß die Grundzüge des Sprachenelaborates der Regierung für die Deutschen absolut unannehmbar seien. Die so zu Tage getretene Unmöglichkeit, den unseligen Conflict zu lösen, der durch die Badeni'schen Sprachenverordnungen heraufbeschworen worden war, veranlaßte die Regierung, die Schließung der XIV. Session des bereits vertagten Reichs¬ rathes beim Kaiser zu beantragen, welche denn auch mit Handschreiben vom 24. Juli 1898 er¬ olgte, wodurch dem Ministerium Thun die Möglichkeit geboten wurde, auf Grund des § 14 die Staatsgeschäfte zu leiten. Die durch die Schließung des Reichstages dem Ministerium gewordene Actionsfreiheit benützte dasselbe zu neuen Verhandlungen mit der ungarischen Re¬ gierung über den noch immer in Schwebe be¬ findlichen Ausgleich, welche zunächst dazu führten, daß das Ministerium Thun, das sich die Badeni¬ Banffy'schen Ausgleichsoperate vollständig zu

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