Es muß ein Inhalt widersprechender Art sein, denn während Möllner die plumpe Schrift überfliegt, schaut ererst ganz verklärt aus, dann läßt er mit trostloser Geberde das Blatt zu Boder sinken und endlich murmelt erunzusammen¬ hängende Reden. „Mein Fehler ist es ja nicht,“ ent¬ schuldigt er sich, als ob er mit einem unsichtbaren Gegner sich bespräche „. . . wer am Hungertuche nagt, kann nicht so starr an Grundsätzen hängen... wie Andere . . . Noth kennt kein Gebot. Dann richtet er, wie nach Hilfe suchend, den bisher gesenkten Kopf in die Höhe und sein Blick fällt auf des Knaben Bett, über dem ein Bildder chmerzhaften Gottesmutter Wache hält. Sieht ihn die Mutter der Schmerzer nicht vorwurfsvoll an . . . und verdient er es nicht? „Mit einem Fuß im Grabe, o mein Gott!“ schluchzt er, überwältigt von seinen Gefühlen, „und um schnöden Mammons wegen bereit, Deinem Gotte untreu zu werden ... schäme Dich, Anton Möllner! Mit entschlossener Miene, die seltsam zu den gleichgiltigen Zügen stimmt, faltet er den Brief zusammen, um ihn einzu¬ schließen, ehe Richard ihn erspäht. Der Knabe soll nichts von der Lockung er¬ fahren, welcher der Vater beinahe unter¬ legen, für die er, wenn auch nur während wenigen Augenblicken, bereit gewesen, seine Ueberzeugung als guter Katholik zu opfern. „Lieber Vetter!“ hieß es in dem in derben Schriftzügen hingeworfenen Schreiben, „Du wirst wohl noch immer auf der Suche nach Arbeit sein, aus der Du ja nimmer herauskommst. Der Zufall hat mich auf eine Fährte geführt, die mir so vielversprechend für Dich scheint daß ich nichts Eiligeres zu thun habe als mich flugs hinzusetzen und Dich auf¬ zufordern, kein Gras unter den Füßen wachsen zu lassen, sondern so schnell hierher zu kommen, als es Dir möglich An der protestantischen Kirche hier in 25 unserem Städtchen hat bis jetzt der Lehrer den Organistendienst versehen. Seit der aber todt und sein Nachfolger ein ganz unmusikalischer Mensch ist, haben sie ihre liebe Noth! Die Stelle ist ausgeschrieben worden; aber da sie einen von auswärts Kommenden, der durch Nebenbeschäftigung sein Einkommen nicht vergrößern kann, nicht nähren würde, hat sich bis jetzt Keiner gefunden. Bei Dir wäre es anders; Dich hat das Unglück Allerlei gelehrt. Jedenfalls könntest Du mit Notenkritzeln und Musik¬ stunden zu billigen Preisen — die Du zu machen gewohnt bist —den Hunger von der Thüre halten. Ich habe gleich mit dem Pfarrer gesprochen, der zwar ein bedenkliches Gesicht machte, als er hörte, Du seiest Katholik, aber schließlick meinte, nun, einstweilen müßte es schon gehen, und an die große Glocke brauchc es ja nicht eben gehängt zu werden. Dieser Ansicht bin ich auch, und geht es Dir wirklich so schlecht, wie Dein letzter Brief besagt, dann darfst Du auch nicht so wählerisch sein. Wenn unser Herrgott Dir auf keine ander Weise helfen will, so trifft doch Dich die Verantwortung nicht. Komme also ungesäumt, und damit Dir die Reisekosten keinen Strich durch den Plan machen, legt Dir einen Vorschuß bei Dein Dich grüßender Vetter 1 Martin Möllner.“ Ein wohlmeinender Mensch, dem man eine gewisse, ihm angeborene Derb¬ heit nicht übel nehmen konnte, war er immer gewesen, dieser Vetter; aber auch nur allzu willig, seinen religiösen Grund¬ sätzen, die nicht gerade tief wurzeln mußten, untreu zu werden, denkt der alte Musiker, indem er seufzend die zwei Fünfmark=Scheine an einem sicheren Ort einschließt. Zuerst hat er sie in die Westentasche gesteckt, bis ihm einfiel, das Geld sei für einen bestimmten Zweck ihm geschickt worden und gehört ihm nun eigentlich doch nicht an. Wie sollte er nur den Vetter besänftigen, der Anderer
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