Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

31 „Härense, Sie sind ä schlechtes Gesichte!" raunte Rosemann ihm zu. „Das dürft' ich mir mit meiner Banline nu freilich nicht erlauben." Dabei freute er sich aber wie ein Spitzbube mit über den schlechten Streich und versprach, nichts zu verrathen. Dann nahm er aber vorsichtiger seinen Führer ins Gebet und versprach ihm, falls er auch bestochen worden sei, noch fünf „Neugroschen" mehr zu geben, als ihm geboten worden, wenn er ihn ohne Unfall hinunterführe. Vor der Abfahrt machte Doktor Steffens, der ein eifriger Amateurphotograph war, mit dem eigens dazu mitgeschleppten Apparate mehrere Gruppenaufnahmen von der Gesellschaft und nun konnte die Rutschpartie losgehen. So lange man noch auf der Höhe war, ging es langsam vorwärts, dann immer schneller und schneller und sausend flogen nun die Schlitten die steile spiegelglatte Bahn hinunter. Die Insassen, denen zuerst bänglich zu Muthe war, singen gar bald an, die Sache herrlich zu finden und jauchzend wurden die zahlreichen Abschläge des Weges begrüßt, über tvelche die Schlitten mit großen Sprüngen hinwegsetzten. Dieses förmliche „in der Luft fliegen" war ein Hochgefühl sondergleichen. Nur allzu schnell war Allen die Fahrt vergangen und Jeder hatte den Wunsch, noch einmal umkehren zu können, um das herrliche Vergnügen nochmals genießen zu dürfen. In gemäßigterem Tempo ging es nun immer mehr bergab nach Agneten- dorf, wieder zu Bayer's Gasthofe, wo die Schlitten, welche die Gesellschaft nach Hirschberg zurückführen sollten, bereits cingctroffen waren. Auf dem Wege dahin warf richtig der bestochene Führer seine Dame in einen mächtigen Schneehaufen. „Ach, Herr Jeeses — das ist ja die falsche!" schrie der Sachse laut auf. Und wirklich, die Dame, die sich im Schnee hcrumkugelte, war nicht die Frau Rechtsanwall Franke, sondern die kleine Frau Apotheker Miller. — Erstere hatte nämlich, als sie ihren Gatten mit ihrem Führer flüstern sah. Lunte gerochen und noch kurz vor der Abfahrt den Schlitten gewechselt, ohne daß es der Führer bemerkt hatte, der nun nicht wenig betreten nach dem Herrn, welcher ihm das Markstück versprochen, hinüberschielte. Ach, Du armer, kleiner Sachse, wie erging es Dir nun infolge Deines Ausrufes in Agnetcndorf! Die drei Grazien verwandelten sich in Fnrien und über- häuften den schuldlosen Rosemann derartig mit Borwürfen, daß er garnicht zu Worte kam. Sie glaubten doch steif und fest, daß er der Anstifter gewesen und weder Frau Franke, welche den Zusammenhang ahnte, noch ihr Gatte kamen dem armen Menschen zu Hilfe. Letzterer beantwortete die flehenden Blicke, welche ihm der Sachse zuwarf, mit drohenden Geberdeu und jener war gutmüthig genug, deu eigentlichen Attentäter nicht zu verrathen und ließ Alles stillschweigend über sich ergehen. Endlich legte sich der Sturm der Gefühle und die Damen ließen ihr armes Opfer los. Dieses retirirte schleunigst in die Gaststube, wo ihm am Büffet von dem Sünder Franke großmüthig ein Knickebein gespendet wurde. „Härense," sagte Rosemann zu ihm, „das war eiue ungemüthliche Situation, in die Sie mich da gestürzt hatten, aber etwas hab' ich dabei gelernt." „Was denn?" fragte neugierig der Rechtsanwalt. . „Daß zwischen Frauen, ob sie nun jung und hübsch oder alt und häßlich sind, kein Unterschied besteht, sobald sie verbost sind!" lautete die Antwort. Nach kurzem Aufenthalt in Agneteu- dorf fuhr man weiter. In Warmbrnnn speiste man im Hotel de Prusse zu Mittag. Während der Mahlzeit hielt der RechtsanwaltFranke einen launigeuToast, bei welchem er auch die Unschuld des Sachsen aus Tageslicht brächte und die Damen zur feierlichen Abbitte verur- theilte. Er selbst kaufte sich durch einige

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