Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

28 herausziehen wollte, rutschte er aus und fiel dazu. Dem „schönen Otto" war einer seiner riesigen Pelzstiefeln im Schnee stecken geblieben und nur mit Mühe bekam er ihn wieder heraus. Ein Theil der Gesellschaft tanzte einen Reigen und sang dazu — allgemein herrschte ausgelassenste Heiterkeit. Eine Schneeballschlacht wurde geschlagen und Alles purzelte und kollerte auf dem spiegelglatten Boden durcheinander. Milde lächelte der Mond auf den tollen Blödsinn des ausgelassenen Völkleins herab. Doctor Steffens wollte durchaus eine Probefahrt mit einem Höruerschlitten unternehmen und beredete die Frau Apotheker dazu, mitzufahren. Die kleine Frau, die stets zu jedem Unsinn bereit war, vertraute sich auch wirklich seiner Führung an. Lustig fuhren sie ab. Das Lenken ging aber nicht so leicht wie Recepte verschreiben, aar bald geriet!) der Herr Doctor in Schwulitäten. In seinem Eifer, den Schlitten in der richtigen Bahn zu halten, bemerkte er nicht, wie er nach und nach ganz von dem schmalen Brcttchcn, auf welchem er zu den Füßen seiner Dame saß, herunterrutschte und erst ein gewisses unangenehmes Kältegefühl belehrte ihn, daß er ohne jegliche Unterlage auf dem schlüpfrigen Schnee hinuntergefahren war. Sehr schnell war er nun befriedigt und hatte jetzt das Vergnügen, den Schlitten den steilen Berg wieder hinauf zu ziehen, welches ihm, trotzdem seine Dame großmüthig verzichtet hatte, darin sitzen zu bleiben, doch einige Schweißtropfen kostete. Oben angelaugt, suchte er sofort im Saale den warmen Kachelofen auf und lehnte mit zäher Beharrlichkeit wohl eine Stunde daran. Er mochte wohl seine Gründe dafür haben. Herr Rosemann, dessen kleiner Rausch in der reinen Winterluft rasch verflogen war, machte in seinen Seehundstiefeln die drolligsten Sprünge und war fidel wie eine Schuhbürste. Er hatte sogar die kühne Idee, sich die kleine Anhöhe neben dem Hause hinabzukollern und munter stiefelte er hinauf, während die Anderen unten blieben, um rhn nöthigen Falls aufzufangen. Plötzlich stieß er ein gellendes Geschrei aus: „Hilfe! Mörder! Hilfe!" Erschrocken blickten die Anderen auf und sahen, wie er, beide Arme hoch in die Luft gestreckt, taumelte, hinfiel und im schnellsten Tempo wie eine Kugel, ' das Stück Anhöhe, welches er erklommen, heruntergerollt kam. Man fing den Aermsten, welcher am ganzen Leibe zitterte, auf und führte ihn in den Saal. Dort bestürmte man ihn mit Fragen, was ihm denn zugestoßen sei. Mit einknickenden Knien und halb erlöschender Stimme erzählte er, daß er plötzlich das Gefühl gehabt, als wenn ihm Jemand mit einem stumpfen Messer den Hals abschneiden wollte. Vor Schreck sei er ausgerutscht und hingefallen und dann wären ihm die Sinne vergangen. Aber ein brennendes Gefühl am Halse verspüre er jetzt noch. .Als er den Kopf * zurückbeugte, erblickten die Anderen, welche bei der sonderbaren Erzählung ungläubig lächelnd die Köpfe geschüttelt, thatsächlich einen breiten rothen Streifen, der sich von der Kehle bis zum Kinn hinaufzog und verschiedene Hautabschürfungen aufwies. — Der Rechtsanwalt und zwei anwesende Steuerbeamte verließen den Saal, um sich die Stelle, wo dem Sachsen der Unfall zugestoßen, genau zu betrachten, während die Zurückbleibenden sich eifrig um den armen Rosemann bemühten. „Ja, aber Menscheuskind," rief der Apotheker, „.haben Sie denn irgend Jemand gesehen, der Sie gepackt haben könnte? Wir haben Sie doch nur ganz allein dort oben gesehen und es ist weder ein Strauch noch sonst etwas vorhanden, £ hinter welchem sich Jemand verstecken ' könnte." Der Sachse, der noch ganz entzwei war von dem Schrecken, schüttelte nur das Haupt und stöhnte resignirt: „Rübezahl!" Man lachte ihn herzlich aus, daß

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2