Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

27 verschont geblieben war. Er sollte jedoch zu früh gefrohlockt haben, denn als er jetzt den wohldurchwärmten, hellerleuchteten Saal betrat und eben einer schon f anwesenden kleinen Gesellschaft und den feschen böhmischen Kelluermädchen einen freundlichen „Guten Abend" bot, rückte es ihm plötzlich beide Beine weg und er kam in unsanfter Weise und schneller als er beabsichtigte zum Sitzen. Ein Stückchen Eis an der Sohle seiner See- hnndstiefel hatte diesen Unfall verursacht und beschämt und verlegen krabbelte er sich wieder in die Höhe und retirirte in die entfernteste Ecke des Saales. Bald aber war alles Ungemach vergessen und Alle erfrischten ihre Lebensgeister mit einer Weinsuppe, welche, wie weit und breit bekannt, nirgends so vorzüglich zubereitet wird, als in der Peterbaude. Dem für culinarische Genüsse sehr empfänglichen Sachsen schmeckte sie so großartig, daß er sich sofort noch einen Teller voll bringen ließ. Diese Un- mäßigkeitsollte ihm aber schlechtbekommen, denn als der Leierkasten bald darauf einen stotten Walzer ertönen ließ und Rosemann, der für sein Leben gern das Tanzbein schwang, sofort aufspringend die Frau Apotheker Miller zum Tanz engagirte, da zeigte sich die Wirkung des reichlich genossenen Stonsdorfers und der beiden Weinsüppen. Kaum hatte er sich zweimal hernm- gedreht, da schwankte der ganze Saal vor feinen Blicken auf und ab, er gerieth ins Taumeln und hielt sich krampfhaft an seiner Tänzerin fest. Die mußte ihn förmlich zum nächsten Stuhle schleifen und da hockte er nun wie ein Häuflein Unglück mit fahlem Angesicht und geschlossenen Augen. Eine mitleidige Seele ^ ließ ihm schwarzen Kaffee bringen und langsam begann er sich zu erholeu, nachdem er ihn auf vieles Zureden getrunken hatte. Noch immer schwankend, zog er sich hinter einen der großen Tische zurück. Die Anderen tanzten indes flott weiter und mit wehmüthigen Blicken schaute ihnen der Sachse zu. Dann erst wurde das eigentliche Abendessen eingenommen und fleißig dem Schlumberger-Vöslaner Goldeck zugesprochen. Nur Freund Rosemann war vorsichtig geworden und hielt sich mehr an Selterwasser. Nach dem Essen hüllte man sich wieder in die warmen Pelze, zog die verschiedenartigen warmen Fußbekleidungen an und begab sich hinaus auf das Plateau vor dem Hause. Hier draußen war es jetzt wundervoll. Der Vollmond hüllte Berge und Thäler in magischen Schein, der Schnee flimmerte wie reinstes Silber und der wunderbar klare Himmel war wie besäet mit glitzernden Sternen. Kein Lüftchen regte sich und Alle athmeten mit Entzücken die reine, milde Höhenluft. Tief drunten leuchteten wie rothglühende Feneraugen Lichter von Spindelmühl und lockten und winkten, so daß bei Einigen die Lust, hinunter zu wandern, allen Ernstes erwachte. Sah es doch aus, als ob man sie in einer Viertelstunde erreichen könnte. Der Wirth und die Führer warnten jedoch vor dieser Extratour, welche einige Stunden in Anspruch nehmen würde. Die klare Luft täuschte und ließ die Entfernungen bedeutend kleiner erscheinen, als sie in Wirklichkeit waren. Nachdem man sich lange genug an dem herrlichen Winterbilde erfreut hatte, beleuchtete der Apotheker Miller mit eigens dazu mitgebrachten rothen und grünen bengalischen Flammen den köstlichen, wie von Meisterhand in weißen Marmor gemeißelten Schneebewurf der östlichen Hauswand und den wahren Tropfsteingebilden gleichenden Eiszapfenbehang des Daches. Es war ein feenhafter Anblick und man glaubte sich wirklich in Rübezahl's Eispalast versetzt. Nachdem die letzten Flammen erloschen, unternahm Jeder auf eigene Faust kleine Excnrsionen in der Nähe des Hauses und bald erfüllte helles Gelächter die Hochgebirgseinsamkeit. Alle Augenblicke schrie Jemand auf; der Eine war in ein Loch gefallen und als ihn ein Anderer

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2