Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

26 und nachdem es ihm ausgezeichnet geschmeckt, war auch seine gute Laune wiederhergestellt. Als Entschädigung für die erlittene Unbill kaufte er sich eine Flasche Stonsdorfer Kräuterbitter und also versorgt, folgte er seinen Reisegefährten zu den längst ihrer harrenden kleinen, einsitzigen mit einem Pferde bespannten Hörnerschlitten, welche ihren Namen den verlängerten, in Hörnerform aufstrebenden vorderen Kufen verdanken, mit denen die Führer das Lenken bewerkstelligen. Nachdem die beiden Angsthasen der Gesellschaft, Herr Rosemann und Frau Rechtsanwalt Franke, sich genugsam bei ihrem Führer erkundigt, ob auch ihre Pferde hübsch fromm und keine Durchgehe! seien, konnte endlich die Auffahrt beginnen. — Das Durchgehen verging übrigens den armen Pferden bei dem steilen Wege und dem tiefen Schnee und hübsch langsam im Schritte zog die Karawane den Berg hinauf. Man war kaum eine Stunde durch den dicht beschneiten Tannenwald gefahren, als die Dunkelheit hereinbrach. Die Damen fingen schon au, diese nächtliche Fahrt etwas unheimlich zu finden, aber bald hatte man die halbe Höhe erreicht, wo der Baumwuchs immer spärlicher und niedriger wurde und die Knieholzregion begann. Da kam auch schon der Mond herauf und übergoß mit silbernem Schein die weite Schneefläche. Die niedrigen krummen Bäume und Sträucher, sowie die großen und kleinen Felsblöcke nahmen in ihrem über- schneiten Zustande allerhand groteske Gestalten an, der Phantasie freien Spielraum bietend. „Ein Eisbär! Seht doch, seht!" rief mit heller Stimme Frau Apotheker Miller und deutete auf ein kleines Gebüsch, welches allerdings Aehnlichkeit mit einem Polarbewohner hatte. „Um Gotteswillcn, wo denn?" schrie zu Tode erschrocken Herr Rosemann, welcher, sein Mittagsschläfchen nachholend, durch den Ausruf der Frau Miller unsanft geweckt wurde. Natürlich wurde er wieder gehörig ausgelacht, am meisten von der Frau Rechtsanwalt, welche ausnahmsweise einmal nicht erschrocken war. Leise vor sich hinbrummend, zog er sich auf den Schreck einen Schluck Stonsdorfer zu Gemüthe. Diese Riesen- gebirgsspecialität schien ihm außerordentlich zu behagen — die Flasche war bereits über die Hälfte geleert. Aber auch die anderen Herren hatten ihren Cognacflaschen fleißig zugesprochen und selbst die Damen hatten bei der Kälte einen Belebungsschluck nicht verschmäht. Die Unterhaltung war durch den Ab- stand, welchen die Schlitten von einander halten mußten, etwas erschwert und wurde hauptsächlich durch wohlgezielte Schueeballwürfe bewerkstelligt, wobei sich aber Herr Rosemann nur durch Passivität betheiligte, weil er heute Früh schon trübe Erfahrungen mit dem heimtückischen Schnee gemacht hatte. Tief in seinen Pelz vergraben, die Pelzmütze über die Ohren gezogen, ließ er sich durch die zahlreichen Liebesboten nicht aus der Fassung bringen und kicherte nur stillvergnügt vor sich hin, wenn einer der Anderen laut aufschreiend für einen besonders gut getroffenen Wurf quittirte. Nach dreistündiger Fahrt langte man bei der Peterbaude an und verließ die Schlitten. Aber, o Weh! Von dem langen Stillsitzen waren die Glieder gehörig steif geworden und als erster setzte sich gleich der „schöne Otto" in den Schnee, welchem Beispiele die kleine, dicke Frau Rechtsanwalt unverzüglich folgte. In ihrem dicken Pelze, über welchen sie noch einen Radmantel trug, war sie hilflos wie ein Wickelkind und nur den vereinten Anstrengungen der vier Herren gelang es endlich, sie wieder auf ihre Füße zu stellen. Herr Rosemann sreute sich im Geheimen nicht wenig darüber, daß auch Andere einmal Rübezahl's Koboldstreichc zu fühlen bekamen, während er diesmal

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