Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

23 mir — wegen dem Zipfel hätte ich eigentlich meine gesunden Glieder nicht zu riskiren brauchen —." „Wieso?" fragte mau. „Ja, das ist so eine eigene Geschichte," meinte zögernd, aber mit wichtigthuendcr Miene der Sachse. „Erzählen! Bitte, erzählen Sie doch!" baten die Damen. „Ja, sähense, meine Frau ist nämlich eine Gutsbesitzerstochter, bei deren Eltern jährlich fünf bis sechs Schweine geschlachtet werden. Meine Schwiegermutter hat nun famose Wurstrecepte für allerlei Sorten, aber der Glanzpunkt bleibt halt stets die Mettwurst, und weil meine Frau und ich sie gar so gerne essen, kriegen wir alle Jahre zu Weihnachten fünf Mettwürste. Meine Frau thut nun wie mit Zucker damit und nur ein einziges Mal hat sie bei unserem Theekränzchen etwas davon zum Besten gegeben. Aber da ging's uns ähnlich, wie mir jetzt — so 'ne Wurst war weg wie nischt. — Als das nächste Mal wieder das Kränzchen bei uns war, werden doch auf einmal Alle Appetit auf unsere Mettwurst kriegen, und da meine Frau gutwillig keine herausrücken wollte, stürmen sie ihr die Speisekammer und unsere letzte Wurst war wieder weg wie nischt, kaum daß die Räuberbande uns einen Bissen davon gab. — ,Nee, Karl/ meinte meine Frau, wie sie fort waren, ,das soll mir nicht wieder bassiren! Für die nächste Wurstsendung werde ich einen Platz ausfindig machen, wo sie Niemand finden soll/ — Und richtig, wie wir letzte Weihnachten unsere fünf Würste be- kamen, haben wir sie über unsern großen Kleiderschrank im Corridor an eine Stange gehängt und einen großen leeren Wäschekorb davor gesetzt. Dort oben sucht sie nun Niemand. — Wie ich nun gestern zu meiner Frau sage, ich möchte mir gerne ein Stück von unserer guten Wurst mitnehmen, wollte sie nichts davon wissen irud meinte, das wäre Verschwendung; auf so einer Partie thäte es eine andere Sorte auch. Na, ich gab mich zufrieden und ging zum Abendschoppen in den ,goldenen Engels Wie ich so gegen elf Uhr zu Hause komme, fällt mein Bljck gerade auf den Wäschkorb, hinter dem meine Lieblingswurst steckt und mich packt halt die Versuchung, daß ich mit der Trittleiter Hinaufsteige und mir ein tüchtiges Stück absäble. Ich will g'rade wieder herunter vom Schranke, da höre ich eine Thüre quitscheu. Ei, Herr Jeeses, das wird doch nicht meine Bauline sein! denke ich erschrocken. Schnell angle ich nun mit den Füßen nach der Leiter, verfehl' sie aber in der Eile und falle mit einem fürchterlichen Krach der Länge lang hin. Schnell trug ich nun die Leiter wieder in die Küche, versteckte die Wurst im Fußsacke, der schon zur Reise an der Wand hing und machte, daß ich in die Schlafstube kam, wo meine Frau im Bette aufrecht saß und mich mit recht eigenthümlichen Blicken von der Seite ansah. ,Aber Karl, was machst Du denu für einen Spectakel? Was soll denn die Nachbarschaft von Dir denken? Ich glaube gar, Du hast einen Schwips/ — Zu andern Zeiten hätte ich das nun freilich nicht auf mir sitzen lassen, gestern aber war ich ganz stille und ließ lieber den Schwips gelten, als daß ich gebeichtet hätte, denn so gut wie meiu Baulchen sonst ist — aber die Wurst hätte sie mir ganz sicher wieder aus den Zähnen gerückt. — Heute Früh beim Aufstehen sah ich aber erst die Bescherung. Ein halbes Dutzend blauer Flecke habe ich bei der Kletterei erwischt —." Man lachte natürlich nicht wenig über diese drastischeSchilderung, bedauerte aber gleichzeitig, den armen Sachsen um die so schwer errungene Wurst gebracht zu haben und suchte ihn zu entschädigen, indem man ihm das Beste, was die drei Frühstückskörbe enthielten, anbot, was er auch dankend auuahm und mit bestem Appetite verspeiste, aber der Schlußsatz lautete doch wieder, „über meine Mettwurst geht doch nischt".

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